Die Piper PA34-200T Seneca II, wie sie mit vollem Namen heisst, war lange Zeit DAS klassische Trainingsflugzeug für die ersten Gehversuche zu einem Multiengine Rating. Nachdem nun Carenado die Modelle für den FS9 und FSX auf den Markt gebracht hat, drängt sich ein Vergleich der beiden geradezu auf. Wie die Umsetzung für beide Simulatorvarianten gelungen ist und wo die Unterschiede liegen, erfahren sie, wenn sie die Rezension von Oskar Wagner lesen.
Review:
Carenado Piper Seneca II
für FS9 & FSX
Ich gebe zu, so ganz neu auf dem Markt sind die Carenado Seneca II nicht mehr. Trotzdem lohnt es sich, vor allem für die immer noch grosse Fangemeinde des FS9, die beiden Modelle zu vergleichen. Die Piper Seneca war lange Zeit DAS Twin-Schulungsflugzeug schlechthin, da die meisten vergleichbaren Modelle entweder zu leistungsschwach oder im Betrieb zu teuer waren. Nachdem der Basisversion aus dem Jahre 1971 vier Jahre später zwei ebenfalls gegenläufige Turbomotoren sowie ein modernes„Club-Seating“ verpasst wurden, mauserte sich das graue Entlein zwar nicht gerade zum stolzen Schwan, aber immerhin zu dem am weitesten verbreiteten leichten Zweimotorigen. Kein Rennflugzeug, aber adrett instrumentiert und einfach zu fliegen, so wie es sich eben für einen Twin dieser Klasse gehört. Also gewissermassen der klassische Europa-Ferienflieger für die Familie. Ich hatte das Glück, in meiner näheren Umgebung einen Seneca II Besitzer ziemlich gut zu kennen, was mir zu einigen zusätzlichen privaten Flugstunden auf diesem Modell verhalf. Die grosse Masse der Flugstunden mit diesem Modell habe ich aber durch IFR-Instruktion gesammelt.
Ich weiss nicht, wie es andern Simmern ergeht, aber in mir weckt der Name Carenado die Assoziation zu hervorragend gemachten, fotorealistischen VCs und so war ich gespannt, ob sich diese Tradition in den beiden Seneca-Modellen fortsetzen würde.
Handbücher
Die Handbücher sind absolut identisch, aber sie verdienen den Namen „Handbuch“ nicht wirklich. Es sind ein paar PDFs mit den wichtigsten Angaben, Checklisten, Abnormals etc., grafisch sehr schön gemacht, aber leider fehlen (wieder einmal, wie oft habe ich das schon geschrieben…) etwas weitergehende Informationen über Performance und Powersettings. Cruise Settings sind zwar wie im Original auf der linken Sonnenblende tabelliert, aber leider istdie Lesbarkeit etwas eingeschränkt (ja ja, ich weiss, mit TrackIR ist das kein Problem…).
Ok, ich gebe zu, die Seneca kann weitestgehend „mit dem Hintern“ geflogen werden, aber solche Tabellen gehören für mich einfach zur Grundausstattung. Ebenso fehlen Unterlagen über Weight and Balance. Da klingt die Werbung auf der Carenado-Website „real weight and balance“ schon ein bisschen daneben.
Aussenmodell
Hier gibts nichts zu meckern. Die Modelle sind wirklich in bewährter Carenado-Tradition sehr schön und detailliert gemacht. Für den FSX sind Specular- und Bumpmaps vorhanden, aber erstaunlicherweise ist praktisch kein Unterschied zum FS9 sichtbar. Der Hauptgrund liegt wohl darin, dass Carenado schon zu„FS9-Zeiten“ hervorragende Aussentexturen entwickelt hat. Somit sind nicht die FSX-Texturen schlechter als üblich, sondern die FS9-Variante ist schon derart perfekt, dass sie dem FSX nicht viel nachsteht.
Natürlich sind Unterschiede erkennbar, denn Bump- und Specularmapping bringen schon noch ein paar Feinheiten. Die Detailverliebtheit zeigt sich dann im FSX noch ein bisschen mehr, indem die Static-Dischargers am Pendelruder im Propellerwind flattern! Also die Leute haben Ideen … ! Na, wenn wir schon bei den Details am Heck sind, dann kann ich ja auch gerade mal noch die Trimmruder-Ausschläge unter die Lupe nehmen und – oh Schreck – dem Himmel sei’s geklagt, sie sind wieder mal verkehrt. Bei der FS9 Variante schlagen Höhen- und Seitenrudertrim verkehrt aus, beim FSX nur noch der Seitenrudertrim. Damit steht Carenado aber beileibe nicht alleine da. Das scheint sich in der FS Add-On Community zum Running Gag zu entwickeln 🙂 Vielleicht müssten mal einige Add-On Designer einen Kurs über die Wirkungsweise von Flettnerrudern belegen.
Virtual Cockpit
Der grösste Unterschied zwischen FS9 und FSX ist wohl im VC erkennbar. Nicht dass dasPanel im FS9 schlechter wäre. Auch hier hat Carenado imFS9 bereits Masstäbe gesetzt.
Aber im Endeffekt wirkt das FSX VC doch etwas lebendiger und natürlicher, was leider auf den Bildern nicht richtig herüberkommt. Was dem FS9 logischerweise komplett abgeht, sind die verschiedenen Cockpit-Sichten, durch die man mit„A“ zappen kann. Nicht ganz unpraktisch für einen TrackIR Ignoranten wie mich. Im FS9 hingegen ist man auf TrackIR oder ähnliches schon fast angewiesen; vor allem auch weil sowohl beim FS9 als auch beim FSX auf ein 2D-Cockpitpanel verzichtet wurde und auch z.B. kein Radio Stack als 2D Panel aufgerufen werden kann. Dafür gibt’s mitSHIFT 1-9 allerlei einzublenden. Trotz aller Schönheit der VCs darf man aber nicht darüber hinwegsehen, dass Carenado noch nicht die modernste Technik anwendet. Die Instrumente sind immer noch flächig und nicht wirklich 3D. Die Tiefenwirkung wird durch perfekte Schattierung erzeugt. Hier ist für zukünftige Produkte Verbesserungspotential vorhanden.
Ein ebenfalls augenfälliger Unterschied zeigt sich bei der Performance der Cockpit-Instrumente. Während im FS9 die Instrumente im VC einen relativ langsamen Refresh-Zyklus haben, der sich in unschönem Ruckeln äussert, laufen die FSX Instrumente flüssig. Naja, irgendwo muss der FSX ja seine Stärken ausspielen. Eine kleine Unschönheit sei auch hier am Rande vermerkt: Die obere Türverriegelung arbeitet bei beiden Modellen verkehrt. Sicherheitshalber steht bei beiden Stellungen „LATCH“, so kann man nie falsch liegen 🙂
Die Nachtbeleuchtung ist ebenfalls schön gemacht, wie nicht anders zu erwarten war. Hier zeigen sich aber beim FSX die bekannten Schwächen der unzureichenden Scheinwerfer-Lichtkegel am Boden, die eigentlich hätten korrigiert werden müssen. Die Innenlichter hingegen schalten bei der FSX-Variante alle richtig und mit den richtigen Schaltern, was man beim FS9 Modell nicht behaupten kann.
Allerdings ist dies – soweit ich mich erinnern kann – auf eine Besonderheit des FS9 zurückzuführen. So schaltet sich die Instumentenbeleuchtung mit JEDEM Lichtschalter ein, beim FSX hingegen wirklich nur mit dem einen dafür zuständigen Rheostaten. Insgesamt scheint mir die FSX Beleuchtung etwas zu dunkel, aber das ist wohl individuell zu gewichten. Ich möchte dies jedenfalls nicht als Beanstandung nennen und auf den Bildern ist der Unterschied praktisch nicht erkennbar.
Flugdynamik
Die Seneca ist ein ziemlich gutmütiges Gerät, das einem fast alle Fehler vezeiht. Im Einmotorenflug kennt sie keine „critical engine“, weil die Motoren gegenläufig arbeiten. Charakteristisch für die Seneca – vor allem ab der II-er Serie – ist auch das etwas „massige“ Gefühl um die Längsachse. Ein schnelles Einleiten von Querlage verlangt eine eindeutige Gegenbewegung zum Stoppen derselben, da die beiden Motoren eine nicht unbedeutende Massenträgheit haben. Dies ist bei Kolben-Twins generell der Fall, nur bei der Seneca ist es ein bisschen ausgeprägter. Dafür ist sie um die Pitch-Achse ziemlich lebendig, da sie über ein Pendelruder verfügt. Gegenüber der Seneca I ist dieses allerdings durch besseren Massenausgleich entschärft worden. Trotzdem ist sie vor allem im Landeanflug recht empfindlich auf rauhe Pitch-Korrekturen.
Leider sind diese Eigenarten in der Umsetzung von Carenado nicht wirklich spürbar. Das Nachdrehen in der Querlage fehlt völlig und im Pitch ist sie geradezu harmlos und– unglaublich -, beim Take-Off zieht sie trotz gegenläufiger Motoren nach links! In der Flugdynamik sind aber wohl insgesamt die grössten Unterschiede zwischen FS9 und FSX spürbar.
FSX bietet im Einmotorenflug ein wesentlich besseres Verhalten, vor allem um die Hochachse. Hier ist die FS9 Variante ziemlich instabil. Deshalb war das Erfliegen der kritischsten Geschwindigkeit – Vmca– nicht gerade einfach. Dafür stimmt sie bei der FS9 Variante einigermassen. Bei der FSX Seneca ist das Seitendruder offensichtlich zu wenig effektiv. Sie ist mit Vmca nicht mehr in der Pistenachse zu halten. Na gut, wer will dies schon bei einer Simulation wissen …
Die Turbomotoren arbeiten in etwa so, wie das von ihnen erwartet wird. Will heissen – wie es FS9 bzw. FSX per default Motorparameter erlauben. Ich möchte mich hier nicht mehr weiter über das unsinnige und unrealistische Mixer-Verhalten des FSX auslassen. Immerhin erlauben beide Varianten volle Motorleistung bis zu einer Volldruckhöhe von etwa 15’500 ft. Wie hoch sie für die TSIO-360 Motoren genau ist, habe ich auf die Schnelle nicht in Erfahrung bringen können. Die Werte scheinen aber realistisch und vor allem sind sie identisch.
Was mich aber bei der ganzen Motorgeschichte am meisten enttäuscht hat, ist der Sound. Auch hier preist die Website „original HQ digital stereo sounds“ an. Das Fading der verschiedenden Soundfiles ist meines Erachtens denkbar schlecht gemacht und zudem fehlt – obwohl modellmässig vorhanden – der Unterschied zwischen der 2- und 3-Blatt Propellervariante. Dieser ist in Wirklichkeit extrem markant – vor allem in der Kabine, da nun einfach mal 50% mehr Propellerblätter pro Zeiteinheit die Kabine mit Spitzenwirbeln bepflastern. Auch das sonore Heulen der Conti TSIO-360 6-Zylinder ist nur gerade in der Startphase zu hören. Schon im Steigflug ist es ziemlich stark durch die nächst tiefere Soundvariante überlagert. Die Motordrehzahl lässt sich anhand ihres Sounds gut synchronisieren – dass man dies mit den Gashebeln tun muss, ist ja nicht Carenado’s Fehler. Wechselt man dann in die Aussenansicht, so hören sich die Motoren aber leider komplett asynchron an.
Die Instrumentierung
Carenado tischt uns hier eine hübsche Mix-Variante von Bendix/King NAV/COM Geräten auf, wie sie durchaus anzutreffen ist. Dazu kommt der Standard Bendix/King KFC 200 Autopilot, wie er in den meisten Fällen ebenfalls verwendet wurde. Alles hübsch und grafisch wirklich ansprechend gemacht. Es funktioniert auch fast alles so, wie es sollte, wenn – ja wenn nur diese kleinen Unsauberkeiten nicht wären… Vielleicht müsste sich Carenado mal ein neues Beta-Testteam zusammenstellen. Es ist unglaublich, was hier alles übersehen wurde. Als Beispiel sollen nur zwei der schlimmsten Versäumnisse herhalten: Der NAV Teil des KX 170 funktioniert auch, wenn er ausgeschaltet ist.
Der Hauptschalter hat eh nur zwei Stellungen: OFF und IDENT. Die Stelllung VOICE wird ignoriert. Dafür aktiviert die Stellung IDENT auch automatisch den Ident-Knopf am Audio-Panel. Alles ein bisschen zu einfach geschaltet für ein renommiertes Payware-Produkt. Der Mode Annunciator des KFC 200 Autopiloten ist das andere Beispiel. Nicht genug damit, dass lange nicht alles angezeigt wird – es fehlt FD, CPLD, GA und BC, sondern es wird auch NAV und ALT am selben Ort eingeblendet ….
Und hier das Original:
Mit einer Minute googeln hat man sich das Originalteil runtergeladen. Das sind alles Dinge, die während eines Beta-Tests korrigiert werden sollten, zumal hier kein Unterschied zwischen der FS9 und FSX Variante erkennbar ist. Hoffen wir, dass wenigstens mal ein Patch diese Unsauberkeiten bei beiden Varianten korrigiert.
Fazit
Die Unterschiede zwischen FS9 und FSX Variante sind nicht wirklich gross. Manchmal muss man geradezu akribisch suchen, um etwas zu entdecken. Die Modelle sind in bester Carenado-Tradition sauber gearbeitet und geben optisch innen und aussen sehr viel her. Fliegerisch sind sie anspruchslos und ohne weiteres auch im Einmotorenflug zu beherrschen. Leider wird die Flugdynamik den Eigenheiten der Seneca nicht so richtig gerecht – und das ist schade. Auch die vielen kleinen Unsauberkeiten bringen einige Zacken in das sonst abgerundete Bild dieser Carenado Produkte. Trotzdem – die Seneca II macht Spass in der Klasse der Light Twins und ist trotz der kleinen Unschönheiten einer Bereicherung der FS-Flugzeugpalette. Sie erlaubt die Operation auf Flugfeldern, die sonst für Zweimots eine Klasse zu klein sind. Rasenplätze dürfen durchaus darunter sein….
Pro | Contra |
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