Meine erste und auch bisher einzige reale Berührung war mit der Viscount, die auf der LH Basis geparkt ist und für Schulungszwecke „bearbeitet“ wurde. Wer heute bei einer CRJ von einer Angströhre spricht, ist noch nicht in eine Viscount eingestiegen. Aeroplane Heaven hat sich des Oldtimers angenommen und die alte Dame für den FSX umgesetzt. Vertrieben wird der ganze Spaß von Justflight – als Box als auch als Download. Ingo Voigt hat sich das Paket genauer angeschaut. Als ich in letzter Zeit die Homepage der Entwickler-Gruppe Aeroplane Heaven besuchte, habe ich mich etwas gewundert. Dort ist zu lesen, dass die Hangar-Tore geschlossen werden. Das wunderte mich insofern, da bei Justflight immer wieder neue Produkte erschienen und auch noch in Entwicklung waren, die von Aeroplane Heaven bearbeitet wurden. Scott Philipps erläuterte mir dann, dass nur der eigene Webshop von Aeroplane Heaven geschlossen wird – sie arbeiten weiter, vertreiben aber exklusiv über Justflight.
Download und Installation
Zur Rezension stand mir die Download Version der Viscount zur Verfügung. Circa 25 Euro sind regulär für das Paket fällig. Der Download und die Installation verliefen komplikationsfrei.
Was wird angepriesen
Diese Passage wird noch wichtig werden – um es vorweg zu nehmen – wer eine realitätsnahe Umsetzung im Stile eines A2A Accusim Packs erwartet, wird mit diesem Paket nicht glücklich. Insofern ist es wichtig abzuklären, was der Käufer auf der Produktseite versprochen bekommt.
Versprochen wird die Umsetzung der -800 Serie mit 12 Bemalungsvarianten.
Das Modell wurde exklusiv für den FSX erstellt und bringt ein authentisches Virtual Cockpit (mit Texturen und Schattenwurf) mit. Alle Schalter und Knöpfe sind animiert und viele mit Funktionen versehen – ebenso am Platz des Copiloten / Flug Ingenieurs (den es bei der realen Viscount gar nicht gab).
Zwischenzeitlich ist ein Update erschienen, das über die Support Seiten von Justflight bezogen werden kann. Diese Version inkl. Update ist auch die Grundlage der Rezension.
Historie
1944 entstand die Idee der Viscout – Produktstart für den Prototypen für 1946 und 1948 war der Erstflug. Über die -700 folgte dann die Entwicklung der -800. Die -800 bot 71 Passagieren Platz und wurde von 4 Dart 510 Triebwerken angetrieben. Damit erreichte die Turboprop ~550km/h und konnte bei entsprechend geringer Zuladung knapp über 3,000km weit fliegen.
Handbuch und Support
Das knapp 100 Seitige Handbuch gefällt mir gut. Es sind alle wesentlichen Informationen enthalten – seien es Informationen zur Installation, zum Fliegen, Eckdaten zum Flugzeug und entsprechende Tabellen. Die 100 Seiten teilen sich eine Englische und eine Deutsche Ausführung der Anleitung und abgesehen von einem kleinen Einführungsflug fehlt mir nichts.
Support findet man bei Justflight entweder über ein Ticket System oder eben im Forum.
Das Außenmodell
Je nach Anspruch des Betrachters würde ich das Außenmodell befriedigend bewerten. Leser mit kritischem Blick für das Äußere werden mit der Viscount nicht so glücklich sein.
Alle drei Aspekte Proportionen, Modellierung und Texturen sind anständig, aber nicht berauschend.
Die Proportionen stimmen meines Erachtens, aber ich schaue hier erfahrungsgemäß nicht so genau hin, wie andere User. Ich finde, dass das Modell als eine Vickers Viscount gut zu erkennen ist und die charakteristischen Merkmale auch modelliert sind. Die Animationen sind in Ordnung – Innovation findet man hier nicht, sondern solide Hausmannskost.
Die Texturen sind auch ok – mir sind sie zu glänzend – stellenweise sieht die Viscount so aus, als ob sie mit einer Speckschwarte abgerieben wurde.
Die Kabine
Wer gerne im virtuellen Pax-Sitz reist, findet auch bei Justflights Viscount Platz – es wurde eine Einheitskabine modelliert, die bei allen Modellen (abgesehen von verschiedenfarbigen Sitzen) gleich aussieht. Ich persönlich finde sie nicht wirklich hübsch und finde die Modellierung der Kabine an sich auch ziemlichen Unsinn, aber es mag ja User geben, die das anders sehen. In der Kabine wurde zu dekorativen Zwecken eine virtuelle Stewardess eingebaut, die sogar halbwegs menschlich aussieht. Die restliche Modellierung der Kabine ist anschaubar … meine Einstellung dazu habe ich ja schon kund getan.
Das Virtuelle Cockpit und Systemsimulation
Was sich beim Außenmodell zeigt, setzt sich hier fort. Die Modellierung ist nicht Spitzenklasse, aber wirkliche Modellierungs-Fehler sind auch nicht so recht zu finden. Die Enge des Cockpits kommt recht gut herüber, wenn auch ich den Default Blickwinkel etwas komisch finde. Also ich habe damals im Cockpit mehr gesehen als die Feuerlöscher-Schalter am Glareshield.
Die Texturen sind mir persönlich zu dunkel geraten und sie hätten, wie das gesamt Modell etwas mehr Liebe zum Detail vertragen. Es ist die selbe Kritik, die ich bei der Super Conny auch schon angesprochen habe, die aus dem selben Hause kommt.
Um mich auf die Produktseite zu beziehen – das authentische Cockpit ist überwiegend umgesetzt, wenn auch mehr Liebe zum Detail und schönere Texturen aus dem Modell wirklich eine Perle hätten machen können. Diesen Aufwand wollte oder konnte man wohl nicht betreiben.
Die Nachtbeleuchtung wirkt zwar stimmungsvoll ist aber leider reichlich dunkel geraten. So lassen sich manche Funktionen (bspw. Autopilot) kaum bis gar nicht mehr steuern.
Die Systemsimulation
Die Vickers Viscount ist wahlich nicht mit komplexer Avionik unterwegs gewesen. Dennoch hat sie System-Seitig die eine oder andere “Andersheit” verbaut.
Das beginnt bei den etwas anders gearteten Navigationsinstrumenten (Directional compass und bearing indicator), die etwas anders funktionieren als wir es von den heutigen VOR Anzeigen kennen. Eine kleine Einführung wäre hier sicherlich hilfreich gewesen, aber die Einführung findet man beispielsweise in der Dokumentation zu Rick Pipers Freeware Viscount.
Ferner sind die Condition Lever falsch beschriftet – sie suggerieren, dass man den Propeller Pitch verstellen kann. Bei den meisten (modernen) Turboprops kann man den Pitch zwar verstellen – das erfolgt aber über Modi bei den Condition Levern, bzw in einem sehr schmalen Band (JS41, ATR42/72). Bei der Viscount haben die Condition Lever jedenfalls keinen spürbaren Einfluß auf die Propeller-Steigung. Es wurde wohl die FSX-Standard-Turboprop-Engine verbaut.
Ebenso scheint die Steuerung des Autopiloten hier und da störrig zu sein. Bei den letzten Flügen traten keine Probleme mehr auf, wohl aber bei meinem ersten Flug: obwohl aktiviert, konnte ich mit meinem Joystick die Autopilot-Signale übersteuern. Extrem ungünstig finde ich, dass der Autopilot dann nicht „disconnected“ oder wieder zu seinem Programm zurückfindet. Zum Beispiel lasse ich den AP den Steuerkurs halten – über den Yoke leite ich eine Linkskurve ein, die die Viscount auch fliegt, aber nach Loslassen des Yokes ist der AP noch aktiviert, aber die Viscount macht keine Anstalten den vorgegebenen Steuerkurs wieder anzusteuern – sie fliegt munter die Linkskurve weiter.
Ebenso hat der Autopilot es mit dem Halten der Höhe nicht sonderlich ernst genommen.
Ebenso fraglich ist der Umgang mit “geswappten” Frequenzen. An Com 1&2 kann ich über die Einstellmöglichkeiten nur die aktive Frequenz einstellen und dann auf die inaktive Frequenz “swappen”. Normaler Weise ist es anders herum.
Es zeigen sich also hier und da Unstimmigkeiten. Allerdings hat Justflight auch nicht vollmundig eine akkurate Systemumsetzung beworben. Dennoch wäre etwas mehr Detailgenauigkeit wünschenswert.
Flugdynamiken
Was mit auf den ersten Blick überhaupt nicht gefällt ist, dass die Viscount wie ein Lämmerschwanz um die Hochachse wackelt. Das kann einfach nicht realistisch sein. Ansonsten ist die Viscount eher träge zu fliegen und braucht etwas Voraussicht. Tendenziell fliegt sie sich gutmütig, wenn die Sache mit der Hochachse nicht wäre. Die Verbrauchszahlen konnte ich mangels Unterlagen nicht prüfen.
Leider folgt die Triebwerks-Modellierung dem Standard-FSX-Turboprop mit allen seinen Nachteilen.
Sound & Performance
Der Sound zeigt ebenso Licht und Schatten. An sich finde ich den Sound stimmig und auch passend. Prinzipiell sind die Darts mit ihrem charakteristischen Klang gut getroffen.
Allerdings finden sich einige Schleifen in den Sounds – sowohl bei hohen Drehzahlen beim Motor als auch beim Fahren der Flaps. Sowas muß meines Erachtens bei Payware heutezutage nicht mehr sein. Ebenso wird bei den Treibstoffpumpen der FSX Standard-Sound aufgerufen – das hätte man besser lösen können.
Die Darstellungs-Performance ist, wie zu erwarten, ziemlich gut. Weder ist das Modell extrem komplex und bringt entsprechend viele Polygone mit, noch zwingt die Systemsimulation den PC in die Knie.
Freeware im Vergleich
Es ist schon faszinierend, was auf dem “Markt” so verfügbar ist. Das Viscount Paket von Rick Piper (vcv800_fsx.zip bei flightsim.com oder hier) und Co gefällt mir in vielen Belangen besser als das kommerzielle Pendant. Die Flugynamiken wirken in sich stimmiger, die Systemsimulation macht einen besseren Eindruck und auch die Sounds gefallen mir besser. Das fehlende VC und das nicht so ansehnliche Außenmodell sind in dem Fall für mich vernachlässigbar.
Fazit
Auch wenn sich sicherlich viele User finden, die mit der Viscount zufrieden sind, so ist mein Fazit, dass die Viscount nur etwas für User ist, die unbedingt eine Viscount als ein Komplettpaket im FSX haben möchten. Hardcore Fans der Viscount und Hardcore Simmer werden m.E. von dem Paket enttäuscht sein.
Wer auf ein VC verzichten kann, findet in oben genanntem Paket auch ein nettes Freeware-Paket basierend auf den Modellen von Rick Piper.
Schade finde ich, dass sich beim Entwickler Aeroplane Heavens soweit keine Entwicklung zeigt. Warum das so ist, vermag ich nicht zu beurteilen, finde aber bedauerlich, dass sich bei der Viscount, der Comet, dem VC der 737 Evolution und der Super Conny die selben Kritikpunkte zeigen.
Insofern ist für mich die Viscount eine verpasste Gelegenheit – mit etwas mehr Aufwand und Liebe zum Detail hätte man eine wirklich schöne Umsetzung gestalten können für die ich dann auch gerne 25€ ausgeben würde.
Pro | Contra |
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Informationen | Testsyst |
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Ingo Voigt
Danke für diese Einschätzung, die sich leider absolut mit meinen Erfahrungen decken. Bei mir wurde der Flieger von der Harddisk entfernt. Da gehören keine lieblos gemachten Flieger drauf.
Also wäre das Freeware würde ich ja sagen “WOW da hat sich jemand Mühe gegeben”. Aber das hier ist ja nun wirklich wieder die Schmerzgrenze. Da sind die lieblosen Texturen innen und aussen sowie Default Instrumente im VC. Der ADF ist sogar so schlecht platziert dass man noch den Einstellknopf erkennen kann zwischen Instrumenteneinfassung und der Anzeige selbst. Auch wenn das Ding “nur” 25,50€ kosten soll… Wer von uns hat so viel Geld um es für so was rauszuwerfen?
Traurig, aber wahr! Ingo hat es mit diesem Review auf den Punkt gebracht.
Super das Ingo das Payware Produkt mit vorhandener Freeware verglichen hat. Das sollte Schule machen!
Hier gewissermaßen ein Tritt in den Allerwertesten: Denn Payware sollte schon deutlich besser sein als ein Geschenk!
Aber es weihnachtet ja so sehr und zu Beginn der Adventszeit sind die Geldbeutel ja noch (hoffentlich) gut gefüllt. Schade für diejeneigen die darauf hereinfallen!
Fröhliche Adventszeit!
Danke für diese super Review! 😉 Interessanter Flieger, ich glaub ich schau mir da mal die Freeware an…
Also ich kann mich noch an Zeiten erinner da hätte ich mir gern ein JustFlight Produkt leisten können. Aber seit etlichen Jahren hat sich JF durch die Bank zu einem Publisher von “Low-Level” Payware etabliert. Anscheinend gibt es auch dfür einen Markt. Und wie heissts doch immer so schön: “Der Markt reguliert sich schon selbst…”.
In diesem Sinne: Finger weg davon!:-).
Das war mein erstes Flugzeug mit dem ich anfang der 70er von Luxemburg über Island nach NYC geflogen bin. Schade das JF wieder mal nur “bessere Freeware” versucht zu verkaufen: DC-3, L-1049, Vicount, alle nach dem gleichen Muster gestrickt und untauglich damit die Erfahrung historischer Flugzeuge zu vermitteln.
Danke für das Review!
Ausgezeichnet. Die Idee, das mit einem Freeware Paket in einen Vergleich zu bringen, finde ich sehr gut. Zum einen wird dadurch auch etwas Werbung für die Freeware Szene gemacht, zum anderen wird dadurch im ein- oder anderen Leser u.U. erstmalig die Frage aufgeworfen: “Angesichts der Qualität der Freeware Alternative – ist die rezensierte Payware Variante wirklich ihr Geld wert?
Weiter so!