Natürlich: Der Microsoft Flightsimulator ist allein vom Namen her eben ein Flugsimulator. Doch die Komplexität, mit der die ganze Welt darin abgebildet wird, deutet zumindest an, dass das Programm ein noch viel größeres Potential hat. Von Haus aus aber ist dieses in manchen Bereichen (bewusst? #performance) nicht ausgeschöpft. So gibt es auch mehr als zwei Jahre nach Release keinen Bahnverkehr und auch auf den Straßen regt sich nur alibimäßig etwas. Nicht viel anders sieht es auf den Weltmeeren aus: Ohne Zusatzsoftware herrscht hier mehr oder weniger gähnende Leere. Abhilfe schaffen da unter anderem einige “Vessels”-Addons von Seafront Simulations, die in einige Regionen der Erde AI-Ship-Traffic bringen, oder natürlich das großartige Freeware-Tool “GAIST” (Global AI Ship Traffic) von Henrik Nielsen, dessen nächste Version gerade in der Entwicklung ist und realen Verkehr 1 zu 1 in den Sim verfrachten können soll.
Aerosoft hat nun in Zusammenarbeit mit Szenerie-Entwickler Christian Bahr (aka Bahrometrix) einen eigenen Weg beschritten, das Fliegen über See interessanter zu gestalten: “Offshore Landmarks: North Sea” heißt das Ergebnis, das wir uns in einer weit fortgeschrittenen Beta-Version bereits kurz vor dem am 24.11. erfolgten Release ansehen konnten.
Mehr vom Meer sehen
Offshore – der Begriff im Titel bedeutet stumpf übersetzt “vor der Küste”. Und das ist das, was das Szenerie-Addon liefert: Objekte vor der Küste, auf der Nordsee. Das Gebiet umfasst das Seegebiet zwischen Südnorwegen und den britischen Inseln bis zum südlichen Ausgang des Ärmelkanals sowie die Irische See zwischen Irland und Großbritannien. Dort tummeln sich nach der Installation hunderte POIs, die sich auf der MSFS-Weltkarte einzeln anwählen lassen. Dahinter verbergen sich Bohrinseln, Windparks, Bojen, Windanlagen im Bau sowie ein bunter Strauß an diversen Schiffstypen wie Containerfrachter, Bulkcarrier, Feederschiffe, Autotransporter, Fischkutter und und und.
Windparks und Öl- oder Gasförderanlagen haben ihren festen Standort. Die eigentlich beweglichen Objekte wurden aber nicht willkürlich im Seegebiet verteilt. Vielmehr bildet Aerosofts Addon eine Momentaufnahme ab. Man hat an einem bestimmten Tag eine Bestandsaufnahme gemacht, wo welche Schiffstypen gerade unterwegs waren. Daran ausgerichtet wurden die für das Produkt eingekauften, aber angepassten Modelle platziert. Das Wort “platziert” weist auf eine deutliche Schwäche des Addons hin, verglichen etwa mit dem oben erwähnten GAIST: Die Schiffe fahren keine Routen ab, sondern liegen still, als würden sie ankern. Das nimmt schon ein deutliches Stück Immersion raus.
Was aber nicht bedeuten soll, dass sich auf dem Meer nichts bewegt. Die Rotoren der großen Windanlagen drehen majestätisch, Errichterschiffe (die solche Anlagen aufbauen) fahren Ausleger aus und Kräne auf Bohrinseln schwingen von links nach rechts.
Ideal für Helis
Generell sind die Modelle sehr hübsch und durchaus detailliert. Vor allem aber haben die meisten (rudimentäre) Hitboxen – und damit kann darauf gelandet werden! Man spürt deutlich, dass das Addon taktisch klug veröffentlicht wurde, kurz nachdem auch offiziell Hubschrauber Einzug in den MSFS gefunden haben. Natürlich macht es auch mit Flächenflugzeugen Spaß, sich das Treiben auf dem Wasser anzuschauen. Viel spannender und herausfordernder ist es aber, mit einem Heli auf einem Windanlagen-Arbeitsschiff zu landen oder von einer Ölbohrplattform abzuheben.
Ein lustiges Gimmick bieten das Addon obendrauf: Ein steuerbares CTV, Crew Transfer Vessel. Dieser Zubringer-Schiffe sind so etwas wie die Pendelbusse für die Menschen, die draußen auf See arbeiten. Im Inneren des Schiffes sitzen also auch Fahrgäste und auf der Brücke steuert das entsprechende nautische Personal. Die Bildschirme sind zwar nicht funktionsfähig, aber der MSFS ist eben auch kein Schiffsimulator. Aber auch ohne akkurate Umsetzung macht es durchaus Laune, eine kleine Runde mit dem CTV durch einen großen Haufen Schiffe zu drehen, die vor einem Hafen auf Reede liegen.
Entdecke die Möglichkeiten
Der Blick auf die Weltkarte nach der Installation erschlägt einen schon ein wenig angesichts der schier gigantischen Menge an POIs und Startplätzen. Hunderte Plattformen stehen zur Auswahl. Das Addon hat zum Glück ein umfassendes Handbuch als PDF, bei dem die unterschiedlichen Typen der Szenerie aufgelistet sind. Man kann sehen, wo große Windparks liegen und wo größere Schiffsansammlungen zu finden sind. Vor allem aber gibt es eine tabellarische Liste der Startmöglichkeiten mit ICAO-Codes, über die sich auch Routen besser vorplanen lassen.
Trotz dieser guten Strukturierung im Handbuch bleibt das Überangebot an Objekten und Landemöglichkeiten Fluch und Segen zugleich: Segen, weil es eine solche Menge und Varianz gibt; Fluch, weil es durchaus überfordern kann und nicht immer klar ist, was man bei der Auswahl auf der Weltkarte ansteuert. Denn die meisten Objekte werden mit Ziffernfolgen bezeichnet. Die kann man im Handbuch natürlich nachschlagen, aber muss sie dort auch erstmal finden.
Die Qualität der Modelle ist größtenteils sehr gut und es macht Spaß, beim Vorbeiflug Details wie Rettungsboote oder bewegliche Ausleger oder Kräne zu beobachten. Während jedoch manche Schiffe sogar Scheiben in den Fenstern zu haben scheinen, gibt es andere, bei denen große Flächen grau bleiben und nahezu untexturiert wirken (obwohl sie es nicht sind). Auch das eigentlich schöne CTV ist äußerlich etwas lieblos gestaltet, wenn man es mit manch anderem Schiff vergleicht – sehr flächiges Grau ist zumindest nicht meine Sache. Und auch manche Arbeits- oder Ölplattform wirkt ein wenig wie ein farbloser Zauberwürfel, der auf dem Meer treibt. Andererseits: Wenn im noch blassen Morgengrauen vor der norwegischen Küste die Abgas-Flamme einer Ölförderanlage ihr flackerndes Licht über die Wellen scheucht, sieht das schon sehr erhaben aus.
Trotz der enormen Anzahl von Objekten hat diese aber offenbar keinen negativen Einfluss auf die Performance. Der Testflug über eine enormen Zahl Schiffe westlich von Rotterdam lief flüssig und ohne spürbare Verzögerung. Auch die Ladezeiten im Sim waren normal und angenehm.
Fazit
Das größte Manko sei gleich zu Beginn nochmals erwähnt: Die Schiffe fahren nicht. Man könnte sticheln, dass wegen der weltweiten Logistikprobleme ohnehin lange Zeit regelrechter Stau auf den Reeden vor großen Häfen herrschte und sich sowieso wenig bewegt. Aber für das Gefühl einer lebenden Welt fehlt mir sowas einfach. Und ein nerdiger Kritikpunkt noch: Bei der ganzen Fülle von Objekten fehlt ausgerechnet die einzige deutsche Ölbohrinsel “Mittelplate” vor der Nordfriesischen Küste. Skandal!
Sieht man davon ab, erhält man ein richtig dickes Paket, dass die sonst so einsame Nordsee optisch spürbar belegt. Es macht einfach Spaß und birgt beinahe das Gefühl einer kleinen Jagd, wenn man die ostfriesischen Inseln von Land kommend überfliegt und sich allmählich am Horizont kleine Punkte abzeichnen, die beim Näherkommen als Schiffe oder Windanlagen zu erkennen sind. Man möchte immer weiter fliegen um zu schauen, was es noch alles so zu entdecken gibt und wo man den Hubschrauber noch abstellen könnte.
Wer wenig Hubschrauber fliegt oder sich über Wasser unwohl fühlt, kann das Addon im Regal stehen lassen. Aber wer ein wenig für die Seefahrt übrig hat und das gerne mit dem Hobby Flugsimulation verbindet, der darf gerne zugreifen.
Informationen
Pro | Contra |
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Testsystem | |
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Patrick T.
@Christian
Kann man im Laufe der Zeit noch mit Updates der schlechteren Texturen und beweglichen Schiffen rechnen?
Hm, frag mal im Forum nach :-))
Gibt gleich einen Livesteam auf Youtube.de
http://www.youtube.com/watch?v=176k3s_HfsE
Stand da im Text nicht das Du im Entwickler Team bist? Unabhängig davon ist der Preis ja fair und für das Geld ist es mir wert zum Hubschrauber fliegen. Bei rauer See macht das sicherlich richtig Bock. Hätte mir mehr kleinere Laneplätze gewünscht, so Fregatten mäßig
Landeplätze, auch kleine, sind sehr viele vorhanden. Öltanker und viele andere Schiffe. Schau mal hier ins PDF rein (Seite 21 bis Seite 53): http://forum.aerosoft.com/index.php?/topic/174843-aerosoft-offshore-landmarks-north-sea/#comment-1099324