Historische Flugzeuge sind ein wichtiges Genre in der Flugsimulation. Ikonen der Luftfahrt wie die Ju52, DC3, AN2, Super Constellation, aber auch P51, B17, BF109, FW190 haben ein großes und sachkundiges Publikum, auch in der realen Luftfahrt, und die Spitfire gehört prominent in diese Ahnenreihe. Noch sind die Möglichkeiten der systemtiefen Simulation im MSFS beschränkt, doch FlyingIron Simulations wagt sich vor mit seiner Übertragung der X-Plane-Version in den MSFS. Wie gut das gelingt?
Steht hier im Review von Michael Kalff … und auch, was es mit der “Frau an Bord” auf sich hat.
Das Vorbild: Supermarine Spitfire
Ab Mitte der 1930er Jahre erforderten immer leistungsstärkere Flugzeugmotoren völlig neue Flugzeugdesigns, die für höhere Geschwindigkeiten taugten. Vor allem Jagdflugzeuge waren bis dahin Doppeldecker mit offenen Cockpits, starren Fahrwerken und dicken Tragflächenprofilen, textil bespannte Holzkonstruktionen. Ein mutiger Entwurf aus Deutschland wies neue Wege: die HE 70, “Heinkel Blitz” (Erstflug 1933), das damals schnellste Verkehrsflugzeug der Welt für fünf Passagiere mit einem Piloten, war ein Ganzmetall-Eindecker mit geschlossenem Cockpit, Einziehfahrwerk und aerodynamischen Tragflächenprofilen. In England entstand auf dieser Grundlage die vom Vickers-Ableger Supermarine entwickelte Spitfire (“Hitzkopf” – nach der ältesten Tochter des Vickers-Vorstandsvorsitzenden, Erstflug 1936), in Deutschland bei den Bayrischen Flugzeugwerken die Bf109 (Erstflug 1935). Außer Geschwindigkeit, Steigfähigkeit, Wendigkeit interessierten auch Dienstgipfelhöhe, Reichweite, mögliche Zuladung an Waffen, und Tauglichkeit für die Massenproduktion.
Weitere technische Entwicklungen, wie neue Vergaser, Turbolader, Hochleistungstreibstoffe (von 86 auf 100 Oktan und Treibstoffadditive) brachten den Standardmotor der Spitfire, den Rolls Royce Merlin (“Falke”, satte 27 Liter Hubraum) von 1030 PS über die Jahre auf schließlich 2000 PS, was stete Veränderungen am Flugzeug nach sich zog: die erste Version der Spitfire war noch mit starrem Zweiblatt-Holzpropeller (41kg) ausgestattet, danach mit zweistufigem metallenen Dreiblattpropeller (175kg), in den späten Versionen mit verstellbarem mächtigen Dreiblattpropeller aus Metall (250kg) und schließlich stufenlose Vierblattpropeller für eine feste Drehzahl. So zählt die Spitfire 24 verschiedene Versionen (“Mark I” bis “Mark XIX”), drei Nachkriegsversionen (F21, F22, F24) weitere Unterversionen (jeweils a, b, c) und eine (mäßig geeignete) Trägerversion (“Seafire”). Über 20.000 Stück wurden insgesamt von 1936 bis 1948 gebaut und kamen in den 40ern und 50ern in fast allen Kriegen dieser Jahrzehnte zum Einsatz (zuletzt in Korea). Bis in die frühen 1960er war die Spitfire im aktiven Dienst (Luftwaffen von Ägypten, Griechenland, Irland, Israel, Syrien, Dänemark, Türkei), für die Bundeswehr schleppte sie Übungs-Luftziele. Heute sind noch 40 Maschinen weltweit flugfähig.
Für die ikonische Wirkung sorgt neben dem schnittigen Erscheinungsbild aber auch die militärische Bedeutung der Spitfire bei der Verteidigung Englands gegen die deutschen Angriffe. Schon bei der Rettung fast der gesamten britischen Berufsarmee und französischer Soldaten bei Dünkirchen (340.000 Mann, Ende Mai/Anfang Juni 1940) spielten Spitfires eine wichtige Rolle als einzig ebenbürtiger Gegner der deutschen Bf109. Um so mehr gilt das für der “Luftschlacht um England” von Juli bis Ende Oktober 1940 (auch wenn das “Arbeitspferd” die den Bf109 deutlich unterlegene Hawker Hurricane war, mit entsprechen hohen Verlusten) und dann wieder – jetzt mit den berühmten schwarz-weißen Invasions-Streifen – beim D-Day und der folgenden Rückeroberung Frankreichs, unterstützt inzwischen von der um eine Generation jüngeren P51 Mustang. Auch über Nordafrika, Italien, Griechenland und im ganzen Mittelmeerraum (Gibraltar, Malta, Kreta) kamen Spitfires zum Einsatz. Die Spitfire gehört heute zum Repertoire der “Britishness” wie die BBC, die Beatles, der Spleen – kein royales Großereignis ohne Schauflug einer Staffel Spitfires.
Die Umsetzung im MSFS
Flying Iron hat sich einer der meistgebauten (4.000 Stück) und “besten” Spitfire-Versionen angenommen, der Mark IX, die Mitte 1942 in Dienst genommen wurde und ab 1943 Standard-Jäger der britischen Luftwaffe an allen Schauplätzen in Europa war und bis Kriegsende auch blieb. Ausgestattet war sie mit dem Merlin 61- und 63-Triebwerk, ab 1943 dann mit 66er , also 1.600 PS (nochmals verstärkte Varianten mit dem Merlin 70) und Vierblattpropeller. Vor allem der für die 60er und 70er Motorserien neu entwickelte Zwei-Stufen-Lader ließ die Spitfire schneller werden (409 mph), rascher und viel höher steigen (bis 43.000 Fuß), der gleiche Motor hat dann auch die P51 angetrieben. Mit dieser Leistung “upgedatet” war die Spitfire der neuesten deutschen Jäger-Generation gewachsen, der Fw 190, und sogar den ersten Kampfjet der Welt, die Me 262, konnten Spitfires Mk IX abschießen. Ein Detail des Vergasers und eines im Cockpit verraten die FlyingIron Version als ein 1942er Modell, eine junge begabte Frau spielt eine Rolle, dazu später mehr.
1,5 GB lädt man herunter, nachdem man sich auf der Entwickler-Homepage für gerade mal 23 Euro (35 australische Dollar) zum Spitfire-Besitzer gemacht hat, entpackt sind das dann rund 3GB auf der Festplatte im Community Ordner (mit sehr informativem Manual von 33 Seiten auf englisch), Installation ist ja kein hakeliges Thema mehr im MSFS. Geliefert wird die besprochene Mark IX mit Merlin 66 Triebwerk (tatsächlich eher 61 oder 63, dazu später mehr) und eine Variante mit gekappten Wingtips, mit der man damals Rollrate und Bodensicht verbessern wollte. Besprochen wird die Version 1.0.1. …just am Tag der Fertigstellung der Review kam Version 1.0.2. ins Haus, dazu unten mehr.
Schauen uns wir dieses historische Flugzeug im Walkaround aus der Nähe an.
Einen realen Walkaround um die Mark IX gibt es übrigens hier (ca. ab Minute 5:30).
Walkaround – das Außenmodell
Wir beginnen vom Cockpitzustieg aus mit der linken Tragfläche, hintere Kante. Hier zeigt sich, mit welcher Detailfreude FlyingIron die Spitfire modelliert hat – man sieht das Spitfire-typische Tragflächenprofil, ahnt sogar die Schränkung (das ist ein höherer fester Anstellwinkel an der Tragflächenwurzel, als an an der Außenseite, damit ein Strömungsabriss zunächst die Innenseite betrifft und die Steuerflächen an der Außenseite immer noch angeströmt werden). Der Pilot prüft alle Luken an der Oberseite (Fuel, Munition), Steuerflächen und Trimmruder, Nav-Light, dann die Flügelvorderkante. Die typischen Macken an einer Flügelvorderkante durch Kollisionen mit aufgewirbelten Steinchen, großen Insekten usw. hat FlyingIron wunderschön modelliert… so habe ich das noch nirgends gesehen! Cool! Zum Glück haben sie nicht auch noch Anzeichen von Feindberührung, also Einschusslöcher, in ihre Mark IX designed. Das Flugzeug ist nämlich im Originalzustand (in dem Fall des Repaints von Juni 1944) dargestellt, also mit MGs (die im MSFS natürlich nicht funktionieren) und ohne moderne Avionics. Trotzdem möchte man die Spitfire im MSFS2020 als ziviles Altertümchen fliegen, nicht als Waffe im Weltkrieg.
Der Pilot kriecht unter die Tragfläche, prüft auch hier die Luken und Dichtigkeit von Auslässen, Tanks und Leitungen, sowie das Fahrwerk auf genug Luft und Beschädigungen. Sehr feine Details wie die Überdruckauslässe für Öl oder die Möglichkeit, den Tankinhalt auf Kondenswasser zu prüfen, fehlen zwar. Aber selbst da, wo man im Standard-Simulationsbetrieb nie hinschaut, im Fahrwerksschaft und an den Federbeinen stimmt sonst alles bis in Kleinigkeiten. Man riecht förmlich das Metall, das Gummi, das Öl, den Sprit. Unter den Tragflächen sind die Spitfire-typischen Radiatoren angebracht, mit denen der Motor gekühlt wird, sie müssen frei sein von Gegenständen (z.B. Vogelnester) und Verstopfungen durch Material. Flying Iron hat sogar die Trennung der Radiatoren für Öl- und Motorkühlung umgesetzt, das ist viel Modelltreue an einem Ort, an den man schon hinkriechen muss, um das zu sehen, wow!
Nächster Checkpunkt: vorne an der Motorverkleidung gibt es eine Klappe, hinter der der Ölstand geprüft wird. Die Klappe ist da, aber deren Öffnung und Ölstand werden nicht simuliert (so, wie ich das z.B. von der A2As P51 im FSX kenne, wo sogar die verschiedenen Öl- und Spritsorten mit ihren Eigenschaften umgesetzt sind). So viel Systemtiefe, sagt FlyingIron, lasse der MSFS noch nicht zu, aber da solle beiderseits nachgebessert werden. Der Pilot klopft danach an die sechs Auspuffrohre, deren Klang einen Riss verraten würde … auch das ist noch nicht simuliert. Als nächstes wird der Vierblattpropeller auf Schäden geprüft (Propellerkanten und -spitzen) sowie der Spinner auf festen Sitz. Hier hat FlyingIron sich nicht lumpen lassen- genau so sehen benutzte Propeller aus, wunderschön gemacht! Die Blattverstellung scheint optisch nicht simuliert, das ist schade, spielt aber eine Nebenrolle, denn bei laufendem Propeller sieht man sie eh nicht – und die Funktionalität ist umgesetzt. Es kann aber auch sein, dass der Propeller auch in real sich im Stillstand nicht aus dem Cockpit manuell verstellen lässt, weil sich die Steigung über Fliehkraftregler an der Drehzahl orientiert.
Rechter Flügel mit Kanten, Steuerflächen und Klappen, rechtes Fahrwerk, rechte Radiatoren … analog zur linken Seite, und auch hier: alles sieht top aus – Augenschmaus pur. Am Rumpf entlang weiter zum Leitwerk…ein Blick auf die hoch aufragende Antenne und … huch, die Verspannung zum Leitwerk fehlt! Das ist für mich schon ein Schnitzer, denn diese hohe Antenne mit Verspannung gehört zur Spitfire-Anmutung! Am Leitwerk selbst sind die Flügelkanten und Flächen sehr schön modelliert, insbesondere die Ansteuerung der Trimmruder. Spornrad prüfen… auch das ist hoch detailliert, Seitenruder … und hier hätte ich jetzt erwartet, dass die Seitenrudersteuerung, analog zur Trimmrudersteuerung, ebenso modelliert ist (die ist auch recht massiv im Vergleich dazu), aber da ist leider nichts. Schade, aber verschmerzbar … wann fällt sowas wirklich auf beim Simulieren? Ein weiterer Schönheitsfehler der ansonsten so detailgetreu umgesetzten Maschine ist es dennoch.
Am Rumpf entlang weiter zum Einstieg – kurz davor liegen Klappen für Batterieprüfung und externen Stromanschluss, die sind zwar da, aber sind nicht zu öffnen und auch nicht zu nutzen. Sonst ist auch der Rumpf hoch auflösend erste Sahne, da ist nichts pixelig oder “billig” … das fühlt sich schon sehr realistisch und “körperlich” an, selbst die Dreckfahnen hinter all den Nieten sind sichtbar, cool ist das! An der Plexiglashaube flimmert es an einer Stelle unschön, FlyingIron weiß darum und es scheint ein MSFS-Problem zu sein.
Bei systemtiefen Simulationen wären die Covers beim Walkaround abzunehmen, die Klappen zu öffnen und einschlägige Checks vorzunehmen, aber das bleibt späteren Versionen vorbehalten, wenn MSFS und FlyingIron weiter entwickelt haben.
Im Cockpit: ein fliegendes Museum
Was die Spitfire äußerlich so attraktiv macht – elegante Schnittigkeit – geht ihr im Inneren ganz und gar ab. Das Cockpit ist Ausdruck des britischen Zugs zu maximaler ökonomischer Effizienz, da ist nichts verkleidet, versteckt, komfortabel oder hübsch … nicht mal übersichtlich, sondern ein dampflockähnliches Gewirr von Leitungen, Hebeln, Gestängen, Anzeigen, Bedienungen (weswegen im im FSX die Spitfire vermieden hab und viel lieber die P51 geflogen bin – die ist deutlich eine jüngere Flugzeug-Generation, obwohl sie den gleichen Motor nutzt).
FlyingIron hat das eindrücklich umgesetzt. Man nimmt Platz und sogleich liebt man es oder hasst es, die Spitfire ist eben, wie sie ist, Steampunk at it’s best. Zunächst die Anzeigen – zeittypisch ein Uhrenladen, aber mit seltsamen imperialen Einheiten und Anzeige-Variationen: immerhin Höhe und Steig-/Sinkrate werden in vertrauten feet gemessen, aber Speed in mph, Ladedruck in pounds of boost, Fuel in Gallons (nur auf Knopfdruck und nur im unteren der beiden Tanks gemessen). Auch der künstliche Horizont ist von einer sehr frühen Sorte, ebenso die Anzeigen für slip und turn, die nur ungefähre Kursanzeige mit magnetischem Kompass sowie ein händisch einzunordender Kreiselkompass zwischen den Füßen des Piloten. Nichts davon kennt man so in modernen Cockpits, allenfalls Öldruck in psi und Temperaturen (Öl und Radiatoren) in Grad C. Die Anordnung folgt nicht der Systematik moderner Cockpits (wie in der P51), man braucht eine Weile, bis man Übung damit hat, die Anzeigen im Auge zu behalten. Hut ab vor den Piloten damals, die mit solchen Anzeigen ihre Destinationen in Europa fanden! Ablesen kann man gut, die Anzeigen sind hoch aufgelöst. Das Cockpit ist keine fabrikneue Version, sondern von Einsätzen gezeichnet, wie schon die Außenhaut.
Auch das Gewirr an Schaltern, Hebeln, Rädern, Ventilen, mit Stick und Pedalen ist glaubwürdig und hochdetailliert umgesetzt, das Meiste kann man bedienen und setzt auch eine Funktion um: Steuerflächen, Klappen, Trimmung und Fahrwerk natürlich, Treibstoffpumpe, Ventile für Treibstoff und Sauerstoff, Propellerstellung, Gemisch, Pitotheat, Scheiben-Enteisung, alles da, allerdings selten da, wo man das heute gewohnt ist. Allerhand Leitungen, seltsame Gerätschaften, und der Spitfire-typische umwickelte Steuerstick, das ist fein gemacht und im Zustand von 1942 bzw.1944: da gibt es kein modernes Funkgerät (nur ein historisches für vier voreingestellte Kanäle, eingeschaltet kann man dann aber über das ATC Fenster vernünftig funken – in Version 1.0.2. ist dann unten links ein modernes Funkgerät mit Transponder verbaut), keine Radionavigation, kein Landelicht oder Taxilight, nur Navlights und eine Cockpitbeleuchtung. Die Gunsight ist inaktiv – im MSFS ist das in Ordnung, wir zielen nicht auf irgendwen oder irgendwas. Die Plexiglashaube hat schon einiges durchgemacht, je nach Sonnenstand hat man nicht den vollen Durchblick (klarer in Version 1.0.2.). Oben ist ein Rückspiegel angebracht, essentiell zur Überwachung der 6-Uhr-Richtung, aber funktioniert hat das im FSX und auch hier im MSFS noch nie. Einstieg zuklappen, verriegeln und los geht’s.
Die Spitfire fliegen – ein Ritt auf dem Feuervogel
Schon die Stromversorgung anzuschalten ist ein workaround – in real haben Bodenbesatzungen die Groundpower vom Flugzeug getrennt und den Bordstrom in der Wartungsklappe angeklemmt, hier muss man den Batterieschalter des peripheren Schaltpults im Homecockpit nutzen, oder einfach den Schubhebel kurz vor und wieder zurückschieben…und schon fließt Strom. Parkbremse an, Treibstoffventil auf, Treibstoffpumpe an, Propellerstellung und Gemischhebel ganz nach vorn auf max und auto, Schubhebel einen Tick vor, Magnetos an, Primer-Pumpe mit der Hand ein paar mal betätigen bis das Warnlicht erlischt, Propeller frei prüfen, den Starterknopf drücken … und schon erwachen 1.600 PS zu lautstarkem Leben. Flying Iron hat aber auch die MSFS-Checklistenfunktion integriert, zusätzlich lohnt ein Blick ins gut detaillierte Handbuch, um die Handgriffe zu üben. Für Enthusiasten gibt es hier das Original-Pilotenhandbuch, und hier ein Video-Tutorial.
Die Abkürzung funktioniert auch: “Strg + e” für den Engine Start.
Und jetzt muss man sich ranhalten, denn die Spitfire ist kein Stehzeug und kein Fahrzeug, sie will in die Luft. Am Boden wird sie die Hitze aus 27l Hubraum selbst im Leerlauf nicht los, nach 10min würde das Aggregat überhitzen. Also Freigabe zum Taxeln holen und ab dafür …allerdings …Mooooment… bitte nur im Schritttempo im Leerlauf und mit nach hinten gezogenem Steuerstick. Allzu flott genommene Kurven quittiert sie schnell mit einem Kippen, die Tragfläche pflügt in den Boden, oder beim Bremsen kippt das mit dem schweren Merlin-Motorblock und der mächtigen Vierblattluftschraube eh schon kopflastige Flugzeug, der Propeller schlägt in den Asphalt, und schon “isch’s over”, wie man bei den südbadischen Meier Motors sagt, wo historische Flugzeuge wie Spitfire und P51 flugfähig restauriert werden, und wo ich den Testflug starte (Bremgarten, EDTG, zwischen Freiburg und Basel). Zudem bedeutet “Spornrad” dass man nach vorne raus in den Himmel guckt und den Weg vor sich gar nicht sieht. Mit TrackIR kann man sich aus dem noch offenen Cockpit lehnen, das Handbuch empfiehlt S-Kurven, mit der Zeit lernt man sich an den Taxiwayrändern rechts und links zu orientieren, um mittig zu rollen. Für die Steuerung ist im MSFS das Spornrad mit den Ruderpedalen angesteuert, wie sonst ein Bugrad, das hat FlyingIron noch nicht lösen können, denn real muss der Pilot mit den Bremsen rechts und links das Flugzeug über den Boden lenken, das ist in der Tat viel schwieriger, aber eben vorbildgetreu (funktioniert mit FlyingIrons Umsetzung aber nicht gut). Hat man es dann heil bis zum Holding Point geschafft, die Startfreigabe bekommen, dann dreht man auf die Runway ein. Kurz stehen, Seitenrudertrimmung rund 5 Grad nach rechts, Höhenrudertrimmung “aufwärts” (und KEINE Klappen!), Haube zu, verriegeln und laaangsam den Schubhebel vorschieben, bis der Boost bei “0” liegt. Der Vogel nimmt jetzt Fahrt auf .. und kann jederzeit nach links ausbrechen, konstante Fühlung mit dem Ruder ist gefragt, und Stick weiterhin nach hinten ziehen. Jetzt in 1er-Schritten den Boost langsam erhöhen. Sobald das Fahrwerk sich vom Boden löst, will die Gegenwirkung des mächtig rotierenden Propellers das Flugzeug nach rechts rollen… jetzt ist voller Einsatz an Pedalen und Stick gefordert, die in verschiedene Richtungen wirkenden Kräfte zu bändigen: bloß weg vom Boden! Gegen 100mph stabilisiert sich die Fluglage, Schub saaaachte vorschieben auf 7 oder 8, den Propeller bei 2.600 rpm einregeln, Fahrwerk einziehen. Die Spitfire ist endlich in ihrem Element – sie fliegt!
Bis man den Start hinbekommt, braucht es einige Versuche, das ist keine Cessna 172! Einmal jenseits von 120 mph beschleunigt, benimmt sich die Spitfire zivilisiert. Von einem schnurrenden Kätzchen würde man ob der powervoll dröhnenden 1.600 PS vor der Brust des Piloten nicht sprechen, aber sie gehorcht umgehend auf feinste Steuerbewegungen. Wo wir gerade vom Sound sprechen – der überzeugt voll und ganz! Ob die Geräusche der Bedienungen und Gerätschaften im Cockpit, Rollen, Luftanströmung, oder eben die 12 fetten Zylinder des Merlin, das ist alles sehr immersiv und klingt, wie man das kennt von der Spitfire.
Jetzt heißt es steigen – und dafür wurde sie ja gebaut, das kann sie gut! Nach und nach wird der anspruchsvolle Motor mit seinen Zicken umgesetzt, so dass man bis zum vollen Erreichen der Systemtiefe in späteren Versionen schon mal die Grundfunktionen der Spitfire lernt, ohne dass einem eine Ölleitung platzt, der Lader ausfällt, oder dem Piloten in der Höhe die Luft ausgeht. Real hätte man Öltemperatur, Öldruck und Radiatortemperatur mittels Vergaserdruck und Geschwindigkeit zu jonglieren, das kann die Spitfire im MSFS noch nicht alles nachbilden … immerhin ist ein eigenes Temperaturmodell in Version 1.0.2. (erschienen mit der Fertigstellung des Reviews) integriert mit Engine Failure bei Überhitzung! Obacht, Wolken nicht länger durchfliegen, sonst “isch over” wegen Vereisung!
Bei 10.000ft öffnet man das Sauerstoffventil und den Zufluss in die Maske des Piloten, und setzt den Tank unter Druck, der Schalter für die entsprechende Pumpe sitzt unter der Fuel-Anzeige. Ab 12.000ft schaltet der Lader in die zweite Stufe, was ein rotes Birnchen anzeigt, und spätestens jetzt wäre es Zeit, Druck in den Tank zu pumpen, denn weiteres Steigen führt zum Verdampfen des Treibstoffs – das wird mit Engine Failure quittiert … und “over isch’s” … mit Glück segelt man dann antriebslos bis zu einem günstig gelegenen Landeplatz, statt sanftem Aufsetzen am Zielort. Locker steigt die Spitfire noch bis 35.000ft, danach wird dem Merlin die Luft langsam dünn, bis 40.000ft wird es ein Stück Arbeit, darüber geht im die Puste aus, die im FlyingIron-Handbuch anvisierten 44.000 ft sind nicht zu schaffen, schon gar nicht manövrierfähig. Der für das Modell von FlyingIron behauptete “Merlin 66” (eher ist es ein 61 oder 63, dazu später mehr) sollte es bis 43.000ft schaffen, eine Mark IX mit 66er hält den Höhenweltrekord für Luftkampf (43.000 Fuß über London, 1944). Für die Simulation im MSFS reicht es allemal, als VFRler darf man eh nicht über 10.000ft steigen (13.000 über den Alpen). Was mir so hoch oben beim Testflug aber in den Sinn kam – welche Ingenieurleistung, dass ein Kolbenmotor auf 40.000ft noch schafft, ein Flugzeug in der Luft zu halten …wow!
Berühmt wurde der Flieger für seine Manövrierfähigkeit auch im langsamen Flug – die großzügig dimensionierten Tragflächen machen es möglich. Erst unter rund 65mph stallt die Spitfire und kippt über eine Tragfläche weg oder taucht mit der Nase nach unten.
Und jetzt mache ich den typischen Spitfire-Simulations-Test (Version 1.0.1.): abruptes Abtauchen… und JA…es passiert… dann abfangen… im Geradeausflug stabilisieren, alsdann halbe Rolle links und auf den Rücken legen…DA, nach ein paar Sekunden passiert schon wieder: die Motorleistung stirbt ab. Der Merlin geht zwar nicht ganz aus, aber in eine Art Leerlauf. Anders als die Bf109 oder die Fw190 hat der Merlin bis 1943 keine Einspritzung, sondern Vergaser, was bei negativen G-Kräften zum Abriss der Treibstoffversorgung in den Zylindern führt. Der Sprit sammelt sich statt dessen im Kopf der Vergaserkammer, der Motor verhungert… und wenn die G-Kraft wieder in die richtige Richtung wirkt, schwappt ein Überangebot in die Zylinder und die saufen ab, Engine out. Im Luftkampf ist das das Ende. Das hatten die deutschen Piloten bald raus, dass man vor Spitfires einfach wegtauchen kann, die kamen da nicht hinterher… die mussten sich erst auf den Rücken legen und dann scharf nach unten ziehen … und in der halben Sekunde hatten die Bf109 sich schon einen Vorteil verschafft.
Um den fatalen Motorstopp zu verhindern, tüftelte Rolls Royce…und tüftelte, Jahr um Jahr. Doch Beatrice (“Tilly”) Shilling, eine junge Ingenieurin im Dienste der staatlichen Luftfahrtforschung erfand Ende 1940 die Lösung: einen Durchflussbegrenzer, genial einfach in der Konstruktion und Montage: eine Art metallenes Diaphragma mit einer kleinen Öffnung, von den Piloten sinngemäß – und heute sicher nicht mehr zeitgemäß – als “Miss Shillings Löchlein” verballhornt. Bis 1942 waren alle Spitfires (und auch die Hurricans) damit ausgerüstet, sie verhinderten nicht den Leistungsabfall, wohl aber den fatalen Stopp des Motors, so wie hier simuliert. Erst 1943 baute Roll Royce in den 66er Motor auch den einspritzartigen Bendix-Stromberg Druckvergaser, und das Problem war vollständig behoben .
Und hier ist FlyingIron historisch unkorrekt: den 66er Motor eingebaut (1943), aber der alte Vergaser mit “Miss Shillings Löchlein” an Bord (1942 mit den 61er und 63er Motoren), ebenso rechts im Cockpit die Handpumpe zum Primen (die mit dem 66er durch eine elektrische ersetzt war)? Was die Höhenleistung angeht, tippe ich, dass hier doch ein 61er oder 63er Motor in eine Mark IX von 1942 eingebaut ist, dann stimmen auch die anderen Details … der Mehrheit der Mark IX wurde mit dem 66er ausgestattet, aber eben erst ab 1943.
Update zu Version 1.0.2. – der Rückgang in den Leerlauf bei negativen G-Kräften ist weg … statt Miss Shilling also jetzt doch den 66er mit Bendix-Stromberg an Bord? Dann wäre aber immer noch die Handpumpe zum Primen inkorrekt, die mit den 61er und 63er verbaut war, mit dem 66er aber elektrisch ersetzt wurde. Ob auch die Höhenleistung verbessert wurde mit dem Update, habe ich nicht überprüft.
Miss Shillings Biografie ist außergewöhnlich für die Zeit: sie fuhr Motorrad- und Autorennen, blieb bis zu ihrer Rente 1969 bei der Luftfahrtforschung (Raketen, Bremsen auf nassen Runways …), starb 1990 mit 81 Jahren. Das wäre Film- oder Serienstoff. Geboren ist sie übrigens am 8. März (1909), dem Weltfrauentag, und sie verstand sich auch als Vorkämpferin für Gleichberechtigung. Von 1942 an flog “Tilly” gewissermaßen mit in den Spitfires und Hurricans. Ihr Mann war Bomberpilot und – fuhr Motorradrennen.
Die guten Langsamflugeigenschaften bringen das Paradoxon mit sich, dass die Spitfire einfacher zu landen, als mit der bulligen Kraft des Merlins zu starten ist: mit 120 mph in den Approach, Gas runter, Fahrwerk raus, Klappen runter, mit 100mph ins Final, Gas auf Leerlauf und Ausschweben…die großen Tragflächen erzeugen spürbar Bodeneffekt, die sanfte Dreipunktlandung macht sie fast von selbst, wenn man den Stick etwas angezogen hält. Stick nach hinten halten, Klappen rein, ausrollen, taxeln zum Stellplatz … Treibstoffhahn zu … Haube auf … fertig ist!
Schöner Flieger! Und die Performance? Keine Einbrüche, nicht mal über London!
Systeme
Alles an Bord ist noch vor-elektronisch, also elektrisch oder mechanisch. Strom, Treibstofffluss, Temperatur und Öldruck sind simuliert, ab Version 1.0.2. auch mit resultierendem Motorschaden bei Überhitzung. Auch das elektrische System war einfach und ist so umgesetzt. Klappen und Bremsen werden mit Luftdruck versorgt, der seit Version 1.0.2. auch umgesetzt ist, noch nicht die Hydraulik, die das Fahrwerk einzieht, sie “funktioniert”, aber ohne Variationen. Ebenso fehlt es dem Sauerstoff noch an Wirkung (bzw. Nichtwirkung) – fließen tut er schon, immerhin.
1942 gab es keine Radionavigation, keinen weltweiten Flugfunk, keinen Autopiloten, keine IFR, und nichts von dem findet sich folgerichtig in der Spitfire, in Version 1.0.2. ist immerhin ein modernes Funkgerät mit Transponder verbaut, so dass man legal in der gegenwärtigen Welt des MSFS fliegen kann. Man könnte man sich wünschen, dass Motorabnutzung, Flüssigkeitsstände und -qualitäten, sowie einzelne Schäden simuliert würden. Für die Zukunft wünsche ich mir neben der historischen außerdem eine modernisierte Version der Spitfire mit zeitgemäßen Avionics.
Fazit
Um schon mal mit einem historischen Flieger die neuen Möglichkeiten des MSFS zu genießen, ist FlyingIrons Spitfire ein optisch und fliegerisch sehr gelungener Anfang, das dazu für verträgliche 23 Euro. Der günstige Preis spiegelt auch wieder, dass es an Systemtiefe, die typisch für historische Flugzeuge eher beim Motormanagement als bei den Avionics läge, MSFS-bedingt noch mangelt. Ein paar kleine Schönheitsfehler fallen nicht ins Gewicht, die Liebe zum Detail macht Freude. Für moderne Einsätze als Schauflugzeug, für Gedenkflüge, um das Handling historischer Flugzeuge zu lernen etc. hat man mit dieser Spitfire unter VFR-Bedingungen eine sehr gute Zeit im MSFS! Mögliche historische “Spielplätze” sind natürlich London, die britische Kanalküste, die Normandie, Paris, Westdeutschland, aber auch Gibraltar, Nordafrika, Sizilien, Italien, Griechenland mit Kreta und Nachkriegs-Stationen der Spitfire (rund 80 entsprechende Liveries sind verfügbar bei flightsim.to). Zum Nachstellen der Luftschlachten eignen sich aber weder MSFS (moderne Welt statt 1940er, keine Waffenfunktion), noch diese Spitfire, dafür müsste man dann in extra dafür gemachte Simulatoren, wie z.B. den DCS, wechseln. Allenfalls herausfordernde Wetterbedingungen, Tages- und Nachtzeiten, Navigation der originalen Einsätze lassen sich nachfliegen, und das ist schon aufregend – Hut ab vor den Spitfire-Piloten!
Und Daumen hoch für FlyingIrons Umsetzung im MSFS!
Informationen
Pro | Contra |
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Bezug | Testsystem |
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Dr. Michael Kalff
Sehr informatives, lebendig und unterhaltsam geschriebenes Review. Macht Freude es zu lesen. Danke dafür.