Aerosoft bringt eine neue Version der Antonov AN-2. Ihr denkt daran, euch den Flieger als Weihnachtsgeschenk zu gönnen? Dann lest diesen Ersten Eindruck – oder schaut euch zumindest meinen halbstündigen Rundflug an, dann wisst ihr mehr!
Das Vorbild
Die Antonov AN-2 – ich werde sie in diesem Review NICHT Anna nennen! – ist ein vielseitiges Flugzeug aus der Sowjetzeit und auch hierzulande einer der häufigsten Oldtimer. Sie ist der größte einmotorige Doppeldecker der Welt, eigentlich aber nur ein Anderthalbdecker, weil der untere Flügel eine deutlich kleinere Spannweite hat.
Was ist außerdem besonders an dem Flugzeug? Zunächst mal ist dieses historische Flugzeug sehr gutmütig zu fliegen und eignet sich ausgezeichnet für Low-and-Slow-Sichtflüge (insbesondere übrigens vom Cockpit aus, denn die Cockpitscheiben erlauben eine tolle Sicht nach unten). Es eignet sich auch für sehr kurze Bahnen mit weniger als 300 m, und auch dafür, massiv Sprit zu verbrennen (ca. 200 Liter pro Stunde können schon zusammenkommen). Aus technischer Sicht ist besonders das Rollen mit diesem riesigen Spornradflugzeug anspruchsvoll: Es gibt kein gelenktes Spornrad, nicht mal eine Sperre dafür. Zum Lenken braucht es die unübliche pneumatische Bremsanlage, die den Bremsdruck je nach Ruderstellung auf die beiden Radbremsen verteilt.
Ansonsten: ingesamt wurden ca. 18.000 Exemplare gebaut, von denen alleine in Deutschland ca. 30 Exemplare fliegen. Das Einsatzspektrum reicht(e) von Personentransport in widrigsten Gegenden über Agrararbeiten bis zum Einsatz im Militär (NATO-Codename: COLT). Da ein Nachfolgemodell nicht in Sicht ist, wird sowohl in Russland als auch in der Ukraine (wie zu erwarten unabhängig voneinander) an Modernisierungen gearbeitet.
Erster Eindruck
Wenn das interessant klingt, dann lade ich euch ein, mein Erster-Eindruck-Video zu sehen (und sagt mir mal, ob euch das Format gefällt!):
Das verspricht der Hersteller, Installation, Lieferumfang
Die Aerosoft-Version der Antonov ist nicht die erste Umsetzung für die FSX-basierten Simulatoren; von SibWings gab es ca. 2013 bereits eine Fassung, die ich aber nie geflogen bin. Aerosoft bietet nun die einzige Möglichkeit, die AN in P3d V4.1 zu betreiben – übrigens derzeit NUR in P3d V4.1. Sie versprechen eine systemtiefe Version, die gleichzeitig aber frameratefreundlich ist. Im Einzelnen:
- “Komplexes Modell mit vielen Animationen gemäß aktueller Standards
- FPS-freundlich
- Service-Fenster mit speziellen Tools, um den Bodenbetrieb zu verwalten
- Vollständig funktionale Systeme, z.B. Schwungkraftanlasser, elektrische Schaltkreise für Klappen, Trimmung und Kühlklappen mit speziellen Modulen, um P3D-Begrenzungen zu umgehen
- Achsen- und Schlüssel [TASTEN]-Modi, um das luftbetriebene Bremssystem der An-2 zu bedienen
- Hochrealistisches Flugmodell, basierend auf Informationen von echten An-2 Piloten und von diesen getestet
- Physikalisch korrektes Heckrad” (simMarket-Produktbeschreibung)
Die Installation klappt problemlos (ein neuer Build ist heute veröffentlicht worden). Nach der Installation findet man Handbücher (idealerweise im Startmenü unter Aerosoft). Es gibt insgesamt sechs Dokumente: AOM-1 und -2, die sich mit den Bedienelementen und – grob – mit der Technik des Flugzeugs befassen, eine Quick Reference, in der zum Beispiel die wichtigen Motorparameter für die einzelnen Flugphasen stehen, ein Flight Guide von Alexander Metzger, der das Flugmodell entwickelt hat, die normalen Prozeduren und Checklisten. Zusätzlich gibt es noch einen Scan (einer Kopie einer Kopie, es im Forum heißt) eines echten Handbuchs. Alle Dokumente sind auf Englisch.
Leider bin ich an einigen Stellen nicht zufrieden: Zum Beispiel wird im Flight Guide geschrieben, dass man das Spornrad für Start und Landung sperren sollte – genau eine solche Sperre hat die Antonov aber nicht. In den Normal Procedures ist die Rede von einer Syringe Pump, die betätigt werden soll – nach viel Ausprobieren und Videoschauen habe ich dann auch verstanden, dass es eine Pumpe ist, die sich hinter dem Primer versteckt und manuell nach oben und unten gebracht werden muss.
Cockpit, Konfiguration und Cold+Dark
Das Cockpit kommt sehr schön detailliert und mit klaren Texturen.
Für die nächtliche Beleuchtung gibt es fluoreszierende (oder sagt man korrekter lumineszierende) Beschriftungen, die durch UV-Lichter aufgeladen und/oder zum Leuchten gebracht werden. Das sieht dann folgendermaßen aus, ohne UV-Beleuchtung:
Mit UV-Beleuchtung:
Für die Konfiguration der Antonov gibt es ein per Shift+1 aufrufbares Panel. Hier ist es möglich, Treibstoff und Öl zu laden, die Tür zu öffnen, die Steuerflächen zu fixieren und Chocks anzubringen.
Darüber hinaus ist es anhand des Propeller-Icons möglich, den Propeller manuell drehen zu lassen, und mit dem Icon darunter den Ölsumpf zu reinigen. Beides geht natürlich nur bei stehendem Motor, und die Ölsumpfreinigung dauert etwas – man muss den Button ausreichend lange gedrückt halten. Wer den Motor selbst starten möchte, der sollte beides machen, sonst kommt die kleine Schadenssimulation ins Spiel. Außerdem zeigt das Kästchen oben rechts hilfreiche Statusmeldungen wie zum Beispiel “Engine Failed” an; mit den Knöpfen darunter lässt sich die Art der Bremsbetätigung (Punkt-Taste/Achse zum Beispiel eines Ruderpedals) auswählen oder der Flieger in den Cold+Dark-Modus versetzen.
Ein Wort zur Flugzeugkonfiguration: Mein großer Fehler war, den Flieger zu laden, mich zu freuen, dass der Motor schon läuft, und einfach mal loszufahren. Die Startposition in Frankfurt-Hahn, die ich mir ausgesucht hatte, war nämlich leider 90° zur Bahn, und die Maschine dreht aber nicht. Als ich es dann in die Luft geschafft hatte, fiel mir auf, dass Trimmung, Flaps etc. nicht funktionieren.
Problem dabei ist ein inkonsistenter Zustand nach Laden des Flugzeugs: Der Motor ist an, aber alle anderen Systeme sind aus. Und das sind viele Systeme, denn die Schalter in der Mittelkonsole zum Beispiel erfordern die Aktivierung von oberen Flaps, unteren Flaps, Trimmung etc., und all das ist unabhängig voneinander.
Abgesehen davon ist der Motorstart etwas speziell: Es gibt keinen Starter im klassischen Sinne – also einen Elektromotor, der den Motor kontinuierlich durchdreht -, sondern ein Schwungrad, dass mit einem Elektromotor auf Drehzahl gebracht wird und dann über eine Kupplung den Motor dreht. Der Motor dreht aber nur kurz durch und sollte dann starten. Anhand der normalen Prozeduren habe ich es leider nur genau einmal geschafft, den Motor zu starten – bei allen anderen Versuchen dreht sich der Propeller kurz, aber der Motor startet nicht. Ein Workaround ist, bei drehendem Motor Strg+E zu drücken. Eine nicht ganz unwichtige Rolle spielt auch die manuelle Treibstoffpumpe auf der rechten Seite des Pilotensitzes, die leider im AOM-1 auch nicht auftaucht. Schön wäre es, wenn man anhand eines Tutorials durch all die Feinheiten des Startups geführt würde.
Andererseits: Der Startup ist üblicherweise in ein paar Minuten gemacht, wichtiger ist ja das Fliegen selbst, insofern sollte das nicht überbewertet werden.
Außenmodell
Wie schon bei den Cockpittexturen, so finde ich den Flieger auch außen sehr gelungen.
Nachts sieht es so aus:
Flugverhalten, Sound
Das Flugverhalten ist sehr träge, so wie man es von einem solchen Flugzeug erwarten würde, und das passt sehr gut zu Sightseeing-Flügen. Im Landeanflug ist die Sinkrate sehr gut mit dem Gashebel zu kontrollieren, ohne den Pitch anpassen zu müssen. Und – wenn der Flieger mal unterwegs ist und die Trimmung passt, dann sind auch längere Etappen ohne Autopilot entspannend. Vom Flugverhalten im Grenzbereich her ist die Antonov sehr gutmütig – außer natürlich, der Motor fällt aus, dann geht es sofort schnell nach unten.
Der Sound ist außen deutlich basshaltiger als innen; im Forum wird darauf verwiesen, dass innen der Sound unter einem Headset simuliert wird. Klingt für mich plausibel! Dennoch gab es von den Nutzern hier die größte Kritik. Unter anderem, da nicht wenige mit so einem großen Radial auch ordentlich Wumms erwarten, was den Sound betrifft. Mag das Headset “realistischer” sein, so darf man nicht vergessen, dass uns Sesselpiloten komplett das Gefühl abgeht. Insofern dürfe etwas mehr Bass nicht schaden, ein wenig mehr “Feeling” ins Spiel zu bringen. Daher wird es in einem der nächsten Updates möglicherweise noch andere Soundsets geben.
Fliegen im metrischen System
Wegen eines Piratenangriffs ist es leider eine Besonderheit des russischen Luftraums: Die Angabe von Maßeinheiten im in sich geschlossenen metrischen System. Ihr kennt sicher die 5er-Regel: Airspeed in Knoten mal 5 ist die Sinkrate in Fuß pro Minute. Das gilt in diesem Flugzeug nicht! Hier gilt: Die Sinkrate in m/s sollte ca. 1,5% der Fluggeschwindigkeit in km/h sein, um mit 3° zu sinken – mit 100 km/h also 1,5 m/s, mit 200 km/h 3m/s, und mit 150 km/h 2,25 m/s.
<Klugscheißmodus>
Wer sich für die Herleitung interessiert: 3° sind 3*pi/180 im Bogenmaß, also 0,0523. Das wäre das Verhältnis zwischen Längs- und Vertikalgeschwindigkeit, wäre die Längsgeschwindigkeit auch in m/s angegeben. Diese ist aber in km/h: 3,6 km/h sind 1 m/s. Den Faktor 0,0523 müssen wir daher noch durch 3,6 teilen, heraus kommt: 0,0145 m/s pro km/h.
Die Richtwerte für den Top Of Descent bleiben gleich: 10 NM für 3000 Fuß, 30 NM für 10.000 Fuß. Wer auch bei den Entfernungen im metrischen System rechnen möchte: ca. 20 km für 1000 m Höhe, ca. 60 km für 3000 m Höhe.
</Klugscheißmodus>
Fazit
Für langsame Feierabendflüge, gerne auch mit Oculus Rift oder ähnlichem, ist Aerosoft’s AN-2 sehr gut geeignet. Die Sicht aus dem Cockpit auf die Landschaft ist gut, das Tempo mit etwa 200 km/h nicht zu langsam, und es eignen sich eigentlich alle Bahnen. Die Performance des Simulators wird kaum getrübt, so dass auch mit meinem etwas älteren System abseits komplexer Szenerie problemlos in Stereo geflogen werden kann (Spezifikationen findet ihr unten). Die Steuerung am Boden finde ich sehr gelungen: Wenn man mal den Dreh heraus hat macht es sogar Spaß, und dieses große Flugzeug lässt sich fast auf der Stelle herumdrehen.
Eine Sache, die mir gerade bei diesem Review positiv auffällt, ist die hohe Taktzahl von Updates und die schnelle Reaktion auf Kritik im Forum (heute kam Build 1.02 raus, nachdem der Flieger ja erst seit etwa einer Woche veröffentlicht ist). Insofern habe ich trotz der gefundenen Inkonsistenzen keine Bedenken, die Antonov AN-2 zu empfehlen: Für knappe 30 € eine schöne Ergänzung für Prepar3d V4.1.
Informationen
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Dr. Patrick Seiniger