Die Bretagne ist einer der schönsten Flecken in Frankreich – und deswegen könnte ein virtueller Ausflug dorthin durchaus lohnenswert sein. “Könnte” insofern, als dass die Region im Flight Simulator bisher unterrepräsentiert war. Das hat sich geändert, als France VFR Mitte Mai 2009 eine Sichtflugszenerie für den FS2004 veröffentlicht hat. Nun folgte auch die praktisch identische FSX-Version. Grund genug für Holger Kistermann, sich einmal im Nordwesten Frankreichs umzusehen… Zu seinem Bericht geht es unter “weiterlesen”.
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Die Bretagne ist etwas Besonderes… Im Grunde genommen fühlen sich viele Bretonen eher Großbritannien zugehörig als zu Frankreich. “Land am Meer” nannten die Kelten dieses Land, das sie im frühen Mittelalter den romanisierten Galliern abnahmen. Die sogenannte “britannische Einwanderung” hat über viele Jahrhunderte hinweg Spuren in der Geschichte Westfrankreichs hinterlassen. Die eigene Sprache und die eigene Kultur hat sich bis zur Französischen Revolution lange etablieren können. Danach wurde vieles anders: Frankreich wurde “einig Bruderland”, was jedoch dazu führte, dass Sprache, Religion und Kultur unterdrückt wurden. Erst unter de Gaulle in den 1950er Jahren, kam es zu einer Wiederbelebung der französischen Sprache und Kultur.
Freilich kann man von all dem nichts im Flight Simulator spüren. Doch zumindest sollte man wissen, über welch historisches Terrain man fliegt. Um in die Bretagne zu gelangen, fliegt man idealerweise mit einem Regionaljet bis nach Rennes. Der Flughafen St. Jacques, LFRN, wird von Brit Air mit Canadair Jets und ATR-Maschinen beispielsweise von Paris aus angeflogen. Dort angekommen, sollte man unbedingt auf VFR-taugliches Fluggerät umsteigen, denn die Bretagne ist eigentlich viel zu schön, um mit Mach 0.78 in Flugfläche 300 überflogen zu werden…
Umfang, Download und Installation
Im Gegensatz zur FS2004-Version mit einer Downloadgröße von 953 MB, schlägt die FSX-Version mit 7,3 GB zu Buche! Dies ist den höher aufgelösten Luftbildtexturen geschuldet, auch wenn auf der Produktseite im simMarket gar kein Hinweis darauf enthalten ist. Dafür erhält man eine detaillierte Szenerie mit einer Grundfläche von 31.000 Quadratkilometern. Zum Vergleich: Das entspricht in etwa der Fläche Nordrhein-Westfalens. Mit einem ganz normalen Sportflugzeug kann man also viele Stunden in der Szenerie umherfliegen, ohne, dass man sich an ständig wiederkehrenden Motiven satt sehen würde. Enthalten sind Tageszeittexturen der Jahreszeit Sommer; Nachttexturen sowie weitere Jahreszeiten sind nicht vorhanden – wurden aber auch nicht als Inhalt versprochen.
Der Download der Szenerie geht aus dem simMarket wirklich schnell vonstatten. Nachdem die beiden Download-Dateien in ein temporäres Verzeichnis entpackt wurden, sieht man vier verschiedene .exe-Dateien für die Installation. Die auf Französisch und Englisch enthaltene Dokumentation erklärt das Installationsprozedere und liefert sogleich nützliche Tipps, wie man den FSX für eine optimale Darstellung der Szenerie konfiguriert. Die Installation verläuft relativ unspektakulär, wenngleich sie aufgrund der Datenmenge natürlich ein bißchen mehr Zeit in Anspruch nimmt. Die Installationsroutine muss übrigens insgesamt vier Mal aufgerufen werden. Dieses Prozedere sollte auch Anfänger nicht vor all zu große Herausforderungen stellen, schließlich wird einem am Ende eines jeden Durchlaufs mitgeteilt, welche .exe-Datei man als nächstes ausführen soll.
Erste Eindrücke
Es ist wie mit vielen anderen neuen Szenerien auch: Idealerweise fliegt man von außerhalb in die Szenerie ein. Wer noch mit den Default-Bodentexturen im FSX unterwegs ist, wird als erstes bemerken, dass die Landschaft am Horizont realistische Farben annimmt. Was nach einem Seitenhieb auf die völlig verkorksten Bodentexturen von Microsoft klingt – schließlich gibt es trotz Klimawandels noch keine Wüsten in Mitteleuropa – ist durchaus ernst gemeint. Denn viele Luftbildszenerien leiden unter einem penetranten Farbstich in den Fotos. Bei France VFR bedient man sich den Daten von Planet Observer, deren Farbqualität ich einfach mal eine gute Qualität attestieren möchte.
Kurzer Exkurs: Welche Auflösung brauchen Luftbildszenerien heute?
Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Szenerie leidet unter zu gering aufgelösten Texturen. Selbstverständlich kann man das objektiv messen und mit anderen Produkten vergleichen. Doch letztlich unterliegt man dabei fast immer einem Irrglauben. Verspricht der Hersteller beispielsweise eine Auflösung von einem Meter pro Pixel, dann ist das in erster Linie eine technische Information. Sie gibt aber keinen Aufschluss darüber, ob die Luftbildaufnahmen auch tatsächlich in dieser Auflösung erstellt wurden. Oder ob sie hinterher auf diesen Wert hinunter gerechnet wurden. Und falls ja, welchen Qualitätsverlust sie dabei erlitten haben. Drastischer – und viel stärker zu Lasten der Qualität – ist es, wenn niedriger aufgelöstes Quellmaterial praktisch nur zu Marketingzwecken auf eine vermeintlich höhere Auflöung hoch gerechnet wurde, es also interpoliert wurde.
France VFR gibt an, für diese Szenerie Luftbilder mit einer Auflösung von 2,5 Metern pro Pixel verwendet zu haben. Ich vermag nicht den Beweis zu führen, ob dem wirklich so ist. Ganz subjektiv gesehen würde der Szenerie eine höhere Auflösung gut zu Gesicht stehen. Denn erst, wenn das Autogen korrekt auf den Texturen positioniert ist, wenn die Übergänge zwischen Wasser und Land wirklich sauber gearbeitet sind und das Mesh perfekt auf die Szenerie abgestimmt ist, fällt die recht niedrige Auflöung erst auf. Wahrscheinlich hätte ich nichts gesagt, wenn die zuvor genannten Dinge mittelmäßig wären. Doch sie sind es nicht. Sie sind gut. Und deswegen wünscht man sich natürlich auch ebenso “gute” Texturen. Doch letztlich muss jeder für sich entscheiden, ob ihm die gebotene Auflösung bzw. Luftbildqualität für das Geld ausreicht. Für mich stand die Antwort sehr schnell fest: Es gibt die Bretagne schlichtweg nicht in besserer Bildqualität – und bevor ich auf diesen schönen Landstrich verzichte… Her damit!
Die Szenerieabdeckung: Das bekommt man für sein Geld
Es gibt “nur” Tagestexturen – was bei einer VFR-Szenerie eigentlich gut zu verschmerzen ist. Nachts sind also alle Katzen schwarz, es sei denn, man verfügt über Ultimate Terrain Europe X von Flight 1. Dann werden zumindest die Hauptverkehrswege mit Straßenlaternen illuminiert. Die landestypischen Autogen-Häuser verfügen über Nachttexturen. Doch die Flughäfen sind, von der Pistenbeleuchtung und den Gebäuden abgesehen, ebenfalls rabenschwarz: Vorfeld- und Taxiwaybeleuchtung gibt es nicht. Das ist kein Manko sondern nur ein Hinweis, denn France VFR hat niemals behauptet, dass diese Szenerie über eine Nachtbeleuchtung verfügen würde.
Da die Bretagne nur äußerst selten mit einer geschlossenen Schneedecke überzogen ist, sieht der Landstrich auch praktisch immer gleich aus. Im Winter tut die tiefstehende Sonne und die karge Vegetation ihr Übriges, um die Illusion der kalten Jahreszeit zu vermitteln.
Leider ist nicht das gesamte Gebiet mit Autogen abgedeckt! Grob gesagt, wurde ein sehrgroßzügiger Gürtel rund um die Küste mit Wäldern und Gebäuden verschönert. Auch die direkte Umgebung der Flugplätze und Flughäfen wartet dreidimensional auf. So sind zumindest die An- und Abflüge optisch vollkommen in Ordnung. Diese Sparmaßnahme mag effektiv sein, doch letztlich sind nur 50% der Szenerie mit Autogen verziert.
Im Normalgebrauch fällt das allerdings überhaupt nicht auf. Fliegt man beispielsweise über das Autogen-lose Innenland, befindet man sich wahrscheinlich eh in einer Flughöhe, in der einzelne Bäume und Häuser keine Rolle spielen. Begibt man sich hingegen irgendwo auf Sightseeing, kann man sicher sein, dass es dort auch Autogen hat. Das gilt auch für das Landesinnere, beispielsweise für das historische Rennes, und natürlich für die gesamte Küste. Das folgende Bild konkretisiert das Geschriebene:
Sämtliche Flugplätze und Flughäfen sind als rudimentäre Szenerie enthalten, sprich, sie sind definitiv nicht Microsoft-Standard, sondern wurden von den Entwicklern “angefasst” und mit eigenen realistischen Gebäuden und Fototexturen versehen. Das diese im Vergleich zu anderen Payware-Szenerien “grobschlächtig” wirken, ist verschmerzbar. Natürlich wären mehr Details besser gewesen, aber man darf nicht vergessen, dass die Entwickler ihren Fokus auf die realistische Darstellung der Landschaft gelegt haben; es ist halt keine Szeneriesammlung von Addon-Flughäfen. Manche Flughäfen oder Flugplätze sind also detaillierter geworden als andere. Der Gesamteindruck ist stimmig.
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Die Szenerie verfügt auch über zahlreiche Goodies, die zu ausgedehnten Entdeckungstouren einladen. Seien es die “Phares”, Leuchttürme, die mitten in der Brandung stehen, Windkraftanlagen, Yachthäfen oder besonders detaillierte Gebiete, wie beispielsweise Saint Malo, auf die ich weiter unten zu sprechen komme. Fliegen über der Bretagne wird eigentlich nie langweilig – auch wenn man nicht auf vorgenannte Goodies stößt. Die Landschaft hat viele Reize…
Guiscriff Scaer, Ouessant oder Lorient – eine neue Welt
Vielerorts gleicht die Bretagne einer sprichwörtlich gelungenen Szenerie. Das ist nicht auf die Umsetzung im FSX bezogen, sondern auf das reale Vorbild: Der rauhe Atlantik hat die Küstenlinien sichtbar geformt. Weiße Strände und Steilküste wechseln sich ab. Felsen liegen im Wasser und brechen die Wellen. Dazwischen gibt es immer wieder enge Buchten und großzügige Flussmündungen, in denen Sportboote dümpeln. Vor den Dörfern haben Fischer Austernbänke im flachen Wasser angelegt, die man deutlich aus der Luft erkennen kann. Das Hinterland ist auf den ersten Blick flach. Auf den zweiten Blick sieht man viele sanfte Hügel, die einen bemerkenswerten Kontrast zur Sturm umtosten Küste geben. Dazwischen gibt es immer wieder kleine Wälder und Flüsse, die die Hügel voneinander trennen… Nicht zu vergessen, die zahlreichen kleinen Dörfer, die oftmals nur aus wenigen Häusern bestehen.
All das kann man natürlich auch im Simulator sehen – den heutigen Möglichkeiten im Szeneriedesign zum Dank. Was viel wichtiger als die akkurate Umsetzung der Realität ist, ist die Frage, wie authentisch die Szenerie ist. Kann sie wirklich die Illusion vermitteln, tatsächlich dort zu sein?
Ja, sie kann es. Die Designer haben auf viele Details geachtet. Zum einen gibt es passgenaue Wassermasken. Die sorgen dafür, dass Flüsse, Meer und Küstenlinien für das menschliche Auge nicht wie störende Polygone wirken. Vielmehr passen sie sich wunderbar in die Szenerie ein: Hier ist viel Handarbeit gefragt. Die Übergänge ins Meer sind, je nach Wassertiefe, oftmals transparent. So kann man aus der Luft auch interessante Details unter Wasser erkennen – seien es Muschelzuchtanlagen oder Felsen.
Meine Reise: Reizvolle Küste und schwierige Navigation
Möchte man die Szenerie praktisch “einmal umrunden”, dann empfiehlt sich die Stadt Rennes als Ausgangspunkt. Schließlich kann man hier auch mit größerem Gerät landen und kann dann in eine Propellermaschine umsteigen. Für diese Rezension habe ich die Route Rennes –> Saint Malo –> Lannion –> Ouessant –> Brest –> Belle Ile –> Rennes gewählt. Die Distanz auf dieser Strecke darf man nicht unterschätzen. Ich habe dabei ungefähr 720 Kilometer zurück gelegt, was in der Praxis mehrere Tage lang dauert, wenn man “nebenbei” auch Arbeiten gehen muss oder ein soziales Leben führen möchte. Diese 720 Kilometer haben mich größtenteils entlang der Küste entlang geführt. Interessant ist, dass die Küstenlandschaft eigentlich immer anders aussieht. Ständig weicht man von der Idealroute ab, um sich irgendwelche Felsformationen oder Dörfer aus der Nähe anzuschauen. Lediglich die Navigation ist eine Herausforderung für sich: Der Szenerie liegt keine Übersichtskarte bei. Und so kann es schnell passieren, dass man an der zerklüfteten Küste beim “Buchten zählen” durcheinander kommt und an der Bucht mit dem Zielflugplatz schon längst vorbei geflogen ist.
À propos “Kartenmaterial”: Es gibt umfangreiches Kartenmaterial für VFR- und IFR-Piloten…
Da muss man hin…
Einige Gebiete in der Szenerie verfügen über besonders viel Charme. Während meiner Reise sind mir Rennes, St. Malo, Brest, Belle Ile und das Gebiet zwischen Quiberon und Vannes besonders gut in Erinnerung geblieben.
Bilderbuch: Rennes (Klick auf das Bild = 1000×593 Auflösung)
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Bilderbuch: St. Malo (Klick auf das Bild = 1000×593 Auflösung)
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Bilderbuch: Brest (Klick auf das Bild = 1000×593 Auflösung)
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Bilderbuch: Zwischen Quiberon und Vannes (Klick auf das Bild = 1000×593 Auflösung)
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Fazit
49,90€ sind viel Geld für eine Addon-Szenerie. Vergleicht man die Szenerie beispielsweise mit irgendeinem Teil der Germany VFR X-Serie von Aerosoft, würde man vielleicht zu dem Ergenis kommen, dass es zu viel Geld ist. Denn für das gleiche Geld gibt es von Aerosoft eine größere Szenerieabdeckung, komplett mit Autogen. Und die Texturen sind höher aufgelöst.
Doch solche Vergleiche hinken doch immer irgendwie… Erstens gibt es bis dato keine Alternative zu dieser Umsetzung der Bretagne und zweitens wurden auch die in der Szenerie enthaltenen Flugplätze und Flughäfen überarbeitet. Letztlich muss man aber zugeben, dass die Bretagne vielleicht einer der schönsten Landstriche in Europa ist – und die Entwickler haben den Charme der Bretagne wunderbar eingefangen.
Ich habe vor vielen Jahren das Erstlingswerk von France VFR rezensieren dürfen: Belle Ile en Mer, damals noch für den FS2002 oder FS2004. Es war vielleicht die schönste (weil detaillierteste) Landschaft für den Fligh Simulator. Belle Ile ist auch Bestandteil dieser Szenerie. Es hat Spaß gemacht, nach all den Jahren dorthin zurück zu kehren – auch wenn Belle Ile nicht mehr ganz so detailliert ist wie damals. Das wundert nicht, denn die Szenerie war ein Stand-Alone-Produkt. Doch schön anzusehen ist sie heute immer noch – wie die gesamte restliche Bretagne auch.
Ich kann diese Szenerie wärmstens weiter empfehlen. Auch wenn die Bretagne nicht die Lobby von Pacific Northwest oder Alaska hat – doch das ist letztlich nur ein Marketingproblem. Wer die Szenerie installiert, wird auch hier seinen persönlichen Lieblingsplatz finden.
Pro | Contra |
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