Dieser Artikel erschien erstmalig am 25.August 2005 auf simflight.de
Heute geht es weiter mit Teil II des Online-Workshops. Im 2. Teil wird von den Vorteilen des Onlinefliegens berichtet und versucht gängige Vorurteile gegenüber dem Onlinefliegen zu diskutieren und zu entkräften. Viel Spaß mit dem unter “mehr” folgenden 2. Teil des Online-Workshops.
Online-Flug Workshop – Teil 2
Controller sind auch nur Menschen – Vorurteile versus Vorteile
Meine Flugvorbereitungen sind getroffen, die Maschine aufgetankt, der Flugplan ist aufgegeben und die Nervosität steigt. Es soll ja – so sagt man – alles wie in echt sein und ich fliege heute das erste mal online! Ich werde mich mit stotternder Stimme bei Delivery melden und mich natürlich etwa fünf mal pro Satz verhaspeln. Der Controller wird mich bestimmt mit einem „Say again” ein wenig zappeln lassen, obwohl er genau verstanden hat, was ich gesagt habe. Er wird dann, nachdem er mich dreimal wiederholen ließ, mit schneller und vor allem professioneller ATC-Stimme meine Clearance runterspulen und den Squawk-Code sowie die Frequenz von Ground so schnell und undeutlich durchs Mikrofon brabbeln, dass ich überhaupt nix verstehen werde und ihn kleinlaut nochmals um Wiederholung bitten muss. Ja, auf der anderen Seite sitzt ein Controller. Dies allein klingt ja schon so ehrfurchterregend, dass mir schon der erste Satz im Hals stecken bleiben wird….
Liebe Leser, genau dies ist in etwa die Situation, welche viele Onlineflug-Anfänger miterleben werden. Man hockt mutterseelenalleine vor seinem PC und macht sich Gedanken über etwas, worüber man nur so vom Hörensagen Bescheid weiß.
Nun, vielleicht werden Sie sich wundern, dass Ihnen nach überstandenem erstem Funkspruch eine vielleicht genauso unsichere Stimme zurückschlägt.
Controller sind auch nur Menschen, oder: Wie du mir, so ich dir!
Die meisten Controller haben ihre ersten Online Stunden auch als Piloten verbracht und haben unter Umständen grade an diesem Abend ihre erste Session als Controller im Alleingang zu vollbringen. Sie sind genauso unsicher und finden sich beispielsweise mit dem Entziffern der Flugstreifen noch nicht routiniert zurecht. Da kann schon mal ein ziemlich stackeliger Satz zurückkommen.
Man darf nicht vergessen, dass auf der anderen Seite auch nur ein Mensch sitzt, der aus lauter Spaß an der Freude dieses Amt ausübt und denselben Kick sucht wie der Pilot. Nun gibt es bisweilen heikle Kombinationen – ein Newbie im Cockpit trifft auf einen Controller, dessen Onlinestundenkonto sich bereits in schwindelerregenden Höhen befindet, oder ein routinierter Pilot den so leicht nichts aus der Ruhe bringt trifft auf einen jungen Controller, der sich zum ersten Mal als Tower in Frankfurt einloggen durfte und sich nun gerade in der Rush-Hour die ersten Sporen abverdienen muss. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie eine solche Begegnung ablaufen kann. Entweder der routiniertere von den beiden lässt das Greenhorn seine Routine spüren und setzt den armen Neuling so unter Druck, dass dieser entnervt das Mikrofon ablegt und sich sehnsüchtig an die ruhigen Zeiten mit dem Flusi-eigenen ATC erinnert, oder aber der Routinier gibt seine Erfahrung an den Neuling weiter und zeigt Verständnis dafür dass es ‚menschelt’. Wie heißt es so schön: There are old Pilots and there are bold pilots, but there are no old, bold pilots! Der Satz sollte singemäss auch auf die Controller angewandt werden. Übermütige Besserwisserei oder Arroganz sind in jedem Fall fehl am Platz!
Die Community der Onlinefliegerei kann sich nur weiterentwickeln, wenn ‚Leben und leben lassen’ gilt. Sich gegenseitig unter die Arme zu greifen sollte selbstverständlich sein, wie auch im richtigen Leben. Es gibt mitunter Piloten, welche nach dem Credo ‚Ich bin der Kunde, und der Kunde ist König’ fliegen – ihnen sei gesagt, dass der Controller nicht nur genau ihren Flug nach ihren Wünschen abfertigen muss, sondern die schwierige Aufgabe hat, sich einen Überblick über alle Flugbewegungen in seinem Luftraum zu verschaffen und sich entsprechend einen Plan auszudenken, diesen so abzuwickeln, dass alle Piloten innert nützlicher Frist abgefertigt werden. Lässt man den Controller diesen Plan abarbeiten werden die Wartezeiten mit Sicherheit viel kürzer sein als wenn man den Controller durch unnötige Funksprüche, Sonderwünsche oder unnötiges Drängen davon abhält, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Umso wichtiger ist es, dass der Controller sich bemüht, den Piloten spüren zu lassen, dass er ihn nicht planlos am Holding Point warten lässt, ihn nicht unnötig auf ein auf den ersten Blick unlogisches Heading nimmt, und ihn auch nicht böswillig die Speed reduzieren lässt.
Viele Controller fliegen auch selber online und wissen um die Probleme, mit welchen sich Online-Piloten konfrontiert sehen, gerade wenn sie noch nicht viel Erfahrung haben. Der langen Rede kurzer Sinn: Der Ton macht die Musik! Gegenseitiges Verständnis und das Bewusstsein, dass derjenige am anderen Ende der Leitung die Onlinefliegerei auch in erster Linie deshalb betreibt, weil er Freude daran haben möchte, sind für Controller und Piloten wichtig. Und: Wo Menschen arbeiten gibt es Fehler! In den großen Onlineflug-Netzwerken wird versucht, ein (im Rahmen der Möglichkeiten) realistisches Abbild einer sehr komplexen Materie zu schaffen. Nicht umsonst sind die Ausbildungen zu einem realen ATPL oder einer realen ATC-Lizenz sehr streng, sehr selektiv, sehr teuer und gehen sehr lange. Bei aller ‚as real as it gets’-Manie darf nicht vergessen, dass der größte Teil der Onlinepiloten und –controller versierte Laien sind, welche sich teils zwar ein immenses Fachwissen angeeignet haben, aber in einem ständigen Lernprozess sind.
So, genug philosophiert! Nun steht man also vor dem ersten Onlineflug und malt sich aus, was da passieren könnte. In verschiedenen Internetforen kann man die Online-Erlebnisse anderer Piloten nachlesen und sich so ein Bild von der Sache machen – doch stimmt dieses Bild? Baut man nicht eher Vorurteile auf, drängt die Online-Gemeinde in die Ecke der komplett verrückten, bornierten und perfektionistischen – in Englisch würde man sie als ‚nerds’ bezeichnen – Flightsimmer? „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht” – so ein Sprichwort.
Vorurteil: „Beim Online-ATC läuft alles haargenau wie in der Realität ab.”
Dies kann man mit gutem Gewissen als falsch bezeichnen! Sicher ist man zwar beidseitig bemüht, die realen Bedingungen so gut es geht zu simulieren, jedoch sind der Sache naturgemäß Grenzen gesetzt, das beginnt schon dabei, dass man als Pilot einerseits meist alleine in einem Zweimanncockpit unterwegs ist, der Controller anderseits alleine einen Luftraum kontrolliert, welcher viel größer ist, als ein Sektor in der Realität. Ihm stehen keine Planer und Koordinatoren zur Seite, wie es in einem echten ACC (Area Control Center) der Fall ist, er macht also die ganze Arbeit selber. Und: Obschon immer mehr echte Piloten und echte Controller die Vorteile der Onlineflugnetzwerke entdecken sind es doch zum allergrößten Teil Amateure, welche diese Form unseres Hobbies betreiben. So professionell wir das auch betreiben wollen – den Spaß daran sollte man nicht verlieren, so kann es also auch im virtuellen Himmel ruhig mal etwas lockerer zu und hergehen.
Vorurteil: „Die Onlinenetzwerke erwarten, dass man auch als Neuling bereits weiß wie ein Flug vor sich zu gehen hat und gehen mit Anfängern, welche sich nicht perfekt verhalten, grob um.”
Hier gilt: Nobody is perfect! Jeder hat einmal angefangen und weiß wie es ist, wenn man zum ersten Mal eine clearance requesten sollte (den Kloß im Hals haben wir oben schon angedeutet). Früher hatte beispielsweise VATSIM (bzw. damals noch SATCO) zwar einen nicht unberechtigten Ruf, arrogant mit Neulingen umzuspringen, doch auch da ändern sich die Zeiten.
Nicht nur wird heute bei den verschiedenen Netzwerken anschauliches Trainingsmaterial angeboten, sondern es werden auch Trainingssessions veranstaltet, wo erfahrene Piloten und Controller den Neueinsteigern mit Rat und Tat zur Seite stehen und mit ihnen die Probleme und Fragen, welche in den ersten paar Onlineflugstunden aufgetaucht sind besprechen. Dies ganz nach dem Motto: ‚Es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten’. Auch die Controller werden von den Netzwerken angehalten, neuen Piloten ihre Hilfe anzubieten und somit die Hemmschwelle abzubauen.
Denn es ist auch zu ihrem Vorteil: Ein „please say again” und eine darauf folgende Erklärung ist viel hilfreicher, als ein Pilot, welcher frustriert und der Richtigkeit seiner Taten unsicher durch den Luftraum fliegt und dabei dem Controller zum (möglicherweise selbstverschuldeten) Hindernis wird.
Vorurteil: „Schön und gut, aber bei meinem AI-Traffic gibt’s einfach mehr Verkehr!”
Ein Killerargument – auf den ersten Blick jedenfalls. Natürlich, mittlerweile gibt’s verschiedene Möglichkeiten, sich den AI-Traffic mittels Free- oder Payware derart aufzupeppen, dass die realen Gesellschaften mit realem Flugplan im virtuellen Himmel unter Ägide des Microsoftschen ATC ihre Runden drehen. ‚As real as it gets’ – ja, vom Verkehrsaufkommen und von den Callsigns her. Was bleibt sind die immergleichen Stimmen im Funk, das amerikanische ATC, und die bisweilen halsbrecherischen Manöver (von Piloten und von Controllern). Dazu kommt eine schier endlose Bastlerei, bis man sich die AFCAD-Files so zurechtgelegt hat, dass der Verkehr auch wirklich an den richtigen Standplätzen steht – eine Turboprop-Maschine an einem Fingerdock kann da schnell zum Ärgernis werden. Fliegt man VFR, so kann man seine Kärtchen mit Ein- und Ausflugrouten und Pflichtmeldepunkten getrost vergessen – das ATC von Microsoft kennt sowas nicht.
Der AI-Traffic hat klar seine Vorteile und Möglichkeiten – man sollte die Onlinefliegerei und den AI-Traffic auch nicht gegeneinander ausspielen. Das Traffic-Argument spielt aber nur teilweise. Ist man in Routenwahl und Abflugort flexibel, so finden sich bei den großen Netzwerken immer mehr Events, welche eine große Zahl an Piloten anlocken. Denn für alle gilt: Je mehr Leute mitmachen sind, desto abwechslungsreicher ist das Geschehen im Online-Luftraum. Und genau hier kommen die Stärken zum Vorschein: Weder gibt es go-around-Orgien, noch wird man endlos rund um den Flughafen geschickt bis sich eine Lücke auf dem ILS auftut. Nein, man kann endlich von der HOLD-Funktion seines FMC Gebrauch machen und sich auf einen zwar etwas verspäteten Approach einstellen, welcher einem aber sicher nicht von einem startenden Flieger, der unvermittelt auf die Bahn rollt oder von einem landenden Flieger, der partout nicht ab der Bahn rollen will, vermiest wird.
Und – last but not least – es spricht nichts dagegen, sich sowohl am Onlinebetrieb zu beteiligen, als auch sich am eigenen AI-Traffic zu erfreuen. Nur beides gleichzeitig geht nicht *grin*
Vorurteil: „Onlinefliegen? Da bin ich ja abhängig von den großen Netzwerken mit dem ganzen ATC, das ist mir zu kompliziert! Ich will doch einfach so mit einigen Kollegen durch die Gegend gondeln, unkontrolliert.”
In der breiten Simmerwelt und in den verschiedenen Foren sind zwar überwiegend die ‚großen Drei’ vertreten, das heißt aber nicht, dass es nicht auch noch andere Möglichkeiten gibt! Auch wenn der Workshop weitgehend darauf angelegt ist, euch, liebe Leser, die Onlinefliegerei in einem der kontrollierten Netzwerke näher zu bringen, werden wir im Teil ‚Möglichkeiten und Netzwerke’ noch auf die anderen Möglichkeiten zu sprechen kommen – es sei aber hier schon gesagt: Für jeden Geschmack ist etwas dabei. Und falls nicht, so ist es nicht schwierig, etwas eigenes aufzuziehen. Dazu braucht man nämlich grundsätzlich nur einen funktionierenden FS und eine Internetverbindung (nebst Kollegen die gewillt sind mitzufliegen natürlich…).
Vier ziemlich konkrete Vorurteile haben wir hier nun abgehandelt – natürlich ließe sich die Liste beliebig erweitern, zu diesem Zwecke schaue man sich entsprechende, periodisch auftauchende Threads in einschlägigen Foren an. Doch – wie schon angetönt – geht es keineswegs darum, die Onlinefliegerei gegen die Offlinefliegerei auszuspielen. Vielmehr, und so soll es auch im weiteren Verlaufe dieses Workshops sein, streichen wir nochmals die Vorteile der Onlinefliegerei heraus:
- Faktor Mensch: Echte Stimmen am andern Ende der Leitung
- Faktor Realismus: Reale Procedures können geflogen werden, reale Phraseologie kann benutzt werden
- Lernfaktor: Gestandene Piloten und Controller können Neulingen mit Rat und Tat zur Seite stehen
- Faktor Unvorhersehbares: Holdings, Verspätungen, Umleitungen
- Faktor Abwechslung: Es existieren Möglichkeiten für jedes Bedürfnis – sei es eine VFR-Tour durch Deutschland, eine Militärpatrouille über den Schweizer Alpen, Kunstflug in Österreich oder Formationsflug durch den Grand Canyon
Auch diese Liste kann natürlich beliebig erweitert werden, die Geschmäcker und somit auch die Prioritäten sind bekanntlich verschieden. Aus diesem Grund bebildern wir diesen Artikel auch mit verschiedenen Impressionen aus verschiedenen Perspektiven der Onlinefliegerei. Philosophiert haben wir jetzt allerdings genug – das nächste Mal geht’s weiter mit hartem Pilotenalltag: Flugplanung für einen Onlineflug!
Florian Bolli und Mike Strasser